Zum Italiener gehen wir ja alle gerne. Problematischer ist es da schon, wenn der Italiener ungefragt zu uns kommt. Macht uns ein Angebot, das wir auf keinen Fall ablehnen werden: Don Vito Corleone.
Der Pate (1979) – Die Story
Drehbuch: Mario Puzo, Francis Ford Coppola
Don Vito Corleone (Marlon Brando) ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts einer der mächtigsten Mafiabosse New Yorks. Nicht gerade ein Business mit einer hohen Lebenserwartung – weswegen sich sein jüngster Sohn Michael eigentlich davon fernhalten will. Funktioniert aber nicht, denn Don Vito gerät schon bald (im wahrsten Sinne des Wortes) unter starken Beschuss – und Michael sieht sich gezwungen zu handeln.
Die Einführung von Don Vito Corleone
Der Leichenbestatter Bonasera sitzt am Schreibtisch des Mafiapaten Don Vito Corleone und hat etwas auf dem Herzen. Er erzählt Corleone, dass seine Tochter vor einigen Wochen von zwei Jugendlichen fast vergewaltigt und anschließend brutal zusammengeschlagen wurde, diese im anschließenden Prozess aber zu seinem Entsetzen nur mit einer Strafe zur Bewährung davon kamen. Nun bittet er Don Vito um Gerechtigkeit. Naja, wenn man den Wunsch nach einem Doppelmord so nennen kann.
Don Corleone lehnt diesen aber ab. Ihm fehlt hier der nötige Respekt. Er moniert, dass Bonasera nicht gleich zu ihm gekommen ist, er überhaupt in den letzten Jahren nie um seinen Rat gefragt hat und ja nicht einmal „Pate“ von ihm genannt wird. Und zum Kaffee wurde er ja auch nie eingeladen. Da fehlt eindeutig die Liebe. Außerdem wäre ja Mord keine gerechte Strafe, schließlich lebt Bonaseras Tochter noch.
Don Corleone steht schließlich auf und sagt Bonasera deutlich, wie enttäuscht er von dessen Respektlosigkeit ist. Er weist auch darauf hin, wie anders dieses Gespräch verlaufen wäre, wenn unser Totengräber echte Freundschaft zu bieten gehabt hätte. Spürbar eingeschüchtert fleht Bonasera daraufhin um Don Vitos Freundschaft, nennt ihn ehrfürchtig „Pate“ und küsst seine Hand. Don Vito akzeptiert, nicht ohne hinzuzufügen, dass er im Gegenzug eventuell eines Tages Bonasera um einen Gefallen bitten könnte.
Don Vito schickt Bonasera dann aus dem Raum und weist seinen „Berater“ Hagen an, diesen kleinen Auftrag doch an den zuverlässigen Handlanger Clemenza zu vergeben – mit dem expliziten Hinweis, den Jugendlichen auch wirklich nur eine „Lektion“ zu erteilen und keinen Mord zu begehen.
Analyse: Gott ist Sizilianer
Einer der berühmtesten Filme aller Zeiten liefert uns eine der schönsten Charaktereinführungen der Kinogeschichte – da macht das Blog schreiben doch gleich doppelt soviel Spaß (und der Text länger als üblich). Natürlich, die eigentliche Hauptfigur des Filmes ist Michael, der von Pacino gespielte Sohn von Don Vito. Aber abgesehen davon, dass Pacino in diesem Blog schon sein Debüt gab, ist es eindeutig das große Familienüberhaupt, welches hier den cooleren ersten Auftritt hinlegt. Dieser ist dann auch gleichzeitig die erste Szene des Filmes und ein wundervolles Lehrstück über Figurenaufbau und die unglaubliche Dynamik, die sich innerhalb eines „simplen“ Dialogs entfalten kann.
Gleich zu Beginn begegnen wir aber erst einmal wieder dem Klassiker der Charaktereinführung. Don Vito ist erst gar nicht und dann vorerst nur im Anschnitt zu sehen, während wir dem aufgewühlte Bonasera in die Augen schauen, der Corleone sein Herz ausschüttet. Dieses „anteasern“ der Hauptfigur, und damit ihre künstliche Überhöhung, ist hier ja schon zur Genüge diskutiert worden. Der spürbare höhere Status des nicht zu sehenden zweiten Gesprächspartners wird aber in diesem Fall auch dadurch gesteigert, dass Bonasera hier offensichtlich jemandem sein komplettes Herz ausschüttet.
Noch interessanter wird es, wenn wir einmal den Monolog von Bonasera zu Beginn etwas genauer unter die Lupe nehmen. Hier bekommen wir von diesem nämlich bereits schon einen ersten Vorgeschmack auf die Werte, welche auch für die Figur des Don Corleone eine so entscheidende Rolle spielen werden: Respekt, Ehre und Familie. So drückt Bonasera nicht nur auf sehr emotionale Art und Weise seine tiefe Liebe zu seiner Tochter aus. Mindestens genauso emotional wird er, als er auf den Prozess zu sprechen kommt. Dass er durch den Freispruch der Täter sich im Gericht wie ein Idiot vorkommen musste und von den beiden Tätern sogar noch ausgelacht wurde, das ist eindeutig zu viel für ihn. Ganz geschickt wird hier also schon transportiert, wie bedeutsam die Begriffe Respekt und Ehre innerhalb der Welt dieses Filmes sind. Womit dann auch wundervoll der rote Teppich für den Auftritt von Don Vito ausgelegt wäre.
Dessen erste Handlung ist wiederum genauso klein wie vielsagend. Lediglich mit einem knappen Wink weist Don Vito einen seiner Assistenten dazu an, dem aufgewühlten Bonasera doch ein Glas Wasser zu reichen. Ein kleines Detail mit einer eindeutigen Botschaft: dieser Mann ist hier der Herr im Haus. Ja, Figurenaufbau kann manchmal so schön simpel sein. Überhaupt läuft unglaublich viel in dieser ersten Szene über Körpersprache, wenn zum Beispiel Bonasera spürbar unterwürfig hinter Corleones Schreibtisch kommt, um diesen um Vergeltung für seine Tochter zu bitten. Don Vito wiederum macht sich nicht einmal die Mühe sich zu bewegen – und liefert stattdessen eine grandiose Antwort auf die Bitte von Bonasera.
Warum sei er denn zuerst zur Polizei gegangen und nicht zu ihm, wenn er denn Gerechtigkeit wollte – diesen Vorwurf darf sich Bonasera von Corleone anhören. Eine Antwort, welche die Bedeutsamkeit der Werte Respekt und Ehre und auch das Selbstverständnis von Don Vito hier einfach perfekt auf den Punkt bringt. Es folgt ein kurzes Nachdenken von Don Vito, bevor dieser dann verkündet, dass er Bonasera nicht helfen wird. Alleine die Tatsache, dass Corleone hier kurz überlegt, wie er denn nun entscheiden soll, rückt ihn dabei schon fast in eine Art Gott-Status. Leben nehmen oder nicht – das entscheidet ja eigentlich nur der Allmächtige. In dem Fall ist dieser aber ein übergewichtiger Sizilianer mit Katze auf dem Schoß.
Noch schöner, und einer gelungensten Charaktermomente des Filmes, ist dann aber die folgende Begründung von Corleone, warum er denn nicht helfen möchte. Die Art und Weise wie er nun Bonasera über sein Verständnis von Freundschaft, Loyalität und Respekt aufklärt ist genauso wahnwitzig wie großartig. Zusammengefasst: Die Dienste meines Killerkommandos biete ich dir nicht an, weil du vergessen hast mich auf Kaffee und Kuchen einzuladen. Und jetzt bin ich beleidigt.
Auch wenn der Fokus in dieser Rede vor allem auf dem Thema Respekt liegt, ein paar weitere nette Kleinigkeiten gibt es auch noch zu entdecken. Wie zum Beispiel eine Katze auf dem Schoß von Don Vito. Die Absicht dahinter ist klar, nämlich mit Hilfe des Kontrasts zwischen liebevollem Tierliebhaber auf der einen und eiskaltem Mafiaboss auf der anderen Seite die Spannung innerhalb der Szene zu steigern. Leider hat der Verlauf der Filmgeschichte diesem Stilmittel aber etwas den dramaturgischen Teppich unter den Beinen weggezogen. Die ikonische weiße Perserkatze des James Bond Bösewichts Blofeld ist inzwischen schon derart häufig kopiert und vor allem persifliert worden, dass die einstige Intention hinter dieser Idee inzwischen beim Publikum verpufft.
Besser funktioniert es da schon, wie die Szene in einem Nebensatz das Gerechtigkeitsverständnis von Corleone etabliert. Der weist Bonasera darauf hin, dass die Todesstrafe für die Täter nicht fair wäre, da dessen Tochter ja noch leben würde. Wir haben es hier also mit jemandem zu tun, der bei aller Skrupellosigkeit doch noch einen gewissen Sinn für Gerechtigkeit empfindet. Dieser kleine Charakterzug ist unglaublich wichtig, um dem Zuschauer einen besseren Zugang zu Corleone zu ermöglichen. Wenn ich Figuren entwickle, die nicht gerade zum moralisch einwandfreien Helden taugen, dann kann ich diesen trotzdem, wenn ich ihnen innerhalb ihrer Welt ein gewisses moralisches Grundgerüst verpasse, doch noch Sympathie verleihen. So kann man im Umfeld der Figur geschickt andere böse Jungs platzieren, die deutlich weniger Anstand haben, was wiederum der Hauptfigur den Respekt beim Zuschauer einbringt. Und wir wissen ja jetzt, wie wichtig der ist.
Nachdem Corleone seine Meinung geäußert hat, bekommt die Szene durch eine Bemerkung Bonaseras dann eine neue Dynamik. Da Corleone ihn abweist, fragt Bonasera, wieviel er denn zahlen müsse, um Don Vito doch noch zu überreden. In anderen Worten, Corleone bekommt vom Drehbuch einen Charaktertest serviert. Er lehnt das Geld ab und besteht diesen damit – und wieder gewinnt man als Zuschauer Sympathie für die Figur, da diese ihre Prinzipien offensichtlich nicht gegen Geld aufgibt.
Gleichzeitig ist der Versuch Corleone zu „kaufen“ aber natürlich auch eine Respektlosigkeit von Seiten Bonaseras und damit stellt sich automatisch die Frage, ob Corleone diese so einfach durchgehen läßt. Tut er natürlich nicht und seine folgende Reaktion zementiert seine wichtigsten Charakterzüge noch weiter – und zeigt seine harte Seite. Denn jetzt ist Schluss mit dem Kuschelkurs, schön dadurch verdeutlicht, dass Corleone die Katze vom Schoß nimmt.
Nun kommt sozusagen der Pate im Mann zum Vorschein und dieser Stimmungswechsel wird wieder wundervoll durch Körpersprache illustriert. Langsam erhebt sich Don Vito und gleichzeitig bewegt sich auch sein bisher fast regungslos in der Ecke stehende Assistent Hagen einmal durch den Raum. Offensichtlich ist sich auch Hagen nicht sicher, wie sein Chef wohl auf diese Respektlosigkeit reagieren wird. Unruhe macht sich breit. Unruhe, die nicht nur wundervoll Spannung erzeugt, sondern auch die Macht von Corleone unter Beweis stellt. Einmal kurz aufgestanden und die Umgebung wird nervös.
Es ist an der Zeit für eine Machtdemonstration. Corleone baut sich vor Bonasera auf, um diesen dann in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, zu was er alles in der Lage ist. Sagen tut er, dass er dank seiner Allmächtigkeit als Freund unglaublich viel für Bonasera tun könnte. Implizieren tut er aber, dass man ihn umgekehrt bloß nicht gegen sich aufbringen sollte. Corleone ist Gott – er kann genauso unerbittlich wie gnädig sein.
Corleone spielt also Gott, so läßt sich die ganze Einführung der Figur auch am Besten beschreiben. Das passt dann auch gut zum Film, der ja von religiöser Symbolik nur so strotzt. Am schönsten sicher in der wunderbaren Parallelmontage am Ende zu sehen, als die Taufe von Michaels Sohn mit der Arbeit eines Mordkommandos unterschnitten wird. In unserer Anfangsszene wiederum schlüpft Bonasera nun ganz klassisch in die Rolle des Büßers, der vor Gott zitternd um Vergebung bittet. Er kniet sozusagen im Geiste vor Corleone nieder und bietet seine Freundschaft an. Corleone läßt ihn aber seine Macht weiter spüren und zappeln – bis dieser ihn endlich „Pate“ nennt und seine Hand küsst.
Und nun kommt die wohl wichtigste Eigenschaft, die Gott von einem Tyrannen unterscheidet und die hier nun die Charakterzeichnung von Corleone abrundet. Corleone vergibt Bonasera. Er akzeptiert die Entschuldigung und nimmt ihn wieder in seinen Kreis auf. Es ist die ultimative Machtdemonstration. Natürlich, einen kleinen Gefallen wird man von Bonasera schon noch irgendwann mal einfordern wollen, schließlich sind wir immer noch bei der Mafia und nicht der Heilsarmee. Trotzdem veranschaulicht dieser Moment wunderschön, wie die Figur Corleone funktioniert und wie sich selbst als göttliche Vaterfigur wahrnimmt.
Zuhören, urteilen, einschüchtern, verzeihen – wir bekommen in einer Szene die komplette Bandbreite der Figur serviert. Eine Szene, die den quasi-religiösen Status von Corleone nicht besser hätte einführen können und damit auf perfekte Weise genau die Welt etabliert, in die wenig später Michael, der zentrale Protagonist, hineingezogen wird. Und all das in einer einzigen Szene in einem einzigen Raum – ganz großes Kino.