Film

Tony Montana – Scarface

Feinste Zigarren, leckerer Rum – da geht einem doch das Herz auf. Es gibt aber auch Sachen aus Kuba, die sollte man lieber nicht importieren. „Say hello to my little friend“ Tony Montana.

Scarface (1983) – Die Story

Drehbuch: Oliver Stone
Der Ex-Sträfling Antonio „Tony“ Montana (Al Pacino) landet mit einem kubanischen Flüchtlingsboot in Miami und beginnt sich in seiner neuen Heimat nach oben zu arbeiten. Los geht es, ganz klassisch, mit einem Job als Tellerwäscher. Und auch das mit dem Millionär klappt eigentlich wie aus dem Bilderbuch – mal abgesehen davon, dass Tony auf brutale Art und Weise zum gefürchteten Drogenbaron aufsteigt.

 

Die Einführung von Tony Montana

„Scarface“ beginnt, ganz klassisch, mit einer Texteinblendung. Wir erfahren, dass im Jahre 1980 Fidel Castro den Kubanern die Ausreise zu ihren Verwandten in die USA erlaubte, das Szenario aber auch dazu nutzte, um eine große Anzahl unliebsamer Krimineller außer Landes zu schaffen. Nach ein paar stimmungsvollen Archivaufnahmen sind wir dann auch schon mitten in einem Verhörzimmer in Florida. Drei amerikanische Grenzbeamten knöpfen sich den Kubaner Tony Montana vor und wollen wissen, ob dieser Dreck am Stecken hat.

Tony aber gibt den harmlosen und ehrenhaften Bürger. Die Fragen nach einem Gefängnisaufenthalt und einer möglichen Homosexualität verneint er entschieden. Er habe sein Geld hart und anständig auf dem Bau verdient. Doch die Beamten lassen nicht locker. Eine große Narbe auf Tonys Gesicht und ein auffälliges Tattoo an seinem Handrücken wecken die Aufmerksamkeit des leitenden Beamten. Tony kommt langsam in Bedrängnis. Schließlich räumt er ein im Gefängnis gewesen zu sein. Aber natürlich nur für einen ganz harmlosen Delikt: er habe von einem Touristen verbotenerweise US-Dollar akzeptiert. Sein Gegenüber glaubt ihm aber kein Wort und die Stimmung eskaliert.

Tony wird nun sauer. Er hält eine emotionale Ansprache darüber, dass alle im Raum hier ja keine Ahnung haben würden, wie hart für ihn das Leben unter Castro war. Tony sieht sich als Opfer Kubas. Toller Auftritt, aber niemand glaubt ihm. Genervt läßt der das Verhör führende Beamte Tony nun aus dem Raum werfen – sollen sich doch die Jungs im Auffanglager um ihn kümmern.

Gefängnis? Kennt Tony zu Beginn des Verhörs nur vom Hörensagen.
(Foto: ©Universal Pictures Germany)

Analyse: Vulkan vor dem Ausbruch

Eigentlich umkurve ich bei meinen Analysen hier ja meist elegant die Schauspielerleistungen, da ich den Fokus stärker auf das Drehbuch lege (kombiniert mit ein paar Regie-Häppchen). Aber die Einführung von Tony Montana zu besprechen ohne den Namen Al Pacino zu erwähnen wäre nun wirklich Frevel. Deswegen wird hier erst mal der virtuelle Hut vor dessen Leistung gezogen – auch stellvertretend für all die anderen tollen Darstellerleistungen, die im Blog bisher zu kurz kamen oder noch zu kurz kommen werden. Das Tony Montana bereits in seiner ersten Szene eine derart faszinierende Aura aufbaut liegt natürlich vor allem an Pacino, der dieser Figur nicht einfach nur Leben einhaucht, sondern die Zuschauer geradezu an sie fesselt.

Aber Tony Montana ist trotzdem mehr als nur eine darstellerische Tour de Force. Was dessen Einführung auch so interessant macht, ist die Art und Weise, wie wir diese Figur kennenlernen. Denn im Wesentlichen kommt aus deren Mund in der ersten Szene nicht ein wahres Wort – und trotzdem (oder gerade deswegen) erfahren wir jede Menge über die Figur. Gleichzeitig besitzt die Szene auch noch einen wundervollen Spannungsaufbau. Da drauf dann noch die Leistung von Pacino und schon ist es wahrlich nicht zu übertrieben festzustellen, dass die Verhörszene von „Scarface“ in den Kanon der ganz großen Charaktereinführungen gehört.

Den ersten Hinweis auf den Charakter der Hauptfigur bekommen wir schon durch die Texteinblendungen zu Beginn und das Archivmaterial, wo mehr als nur angedeutet wird, dass unser Protagonist wohl ein nicht ganz so rechtschaffener Kubaner sein wird. Cut zu Tony im Hawaiihemd und es folgt eines der klassischsten Mittel, um den Charakter einer Figur herauszuarbeiten: Kontrast. Auf der einen Seite eher spießig anmutende US-Grenzbeamte in Anzügen und weißen Hemden, auf der anderen der relaxt grinsende Tony im gefühlten Urlaubsoutfit. Tony hat aber nicht nur ein lockeres Outfit, er hat auch noch eine viel lockerer Zunge.

Sein loses Mundwerk stellt Tony gleich direkt in seiner ersten Antwort unter Beweis. Nach seinem Namen gefragt antwortet er grinsend: „Antonio Montana. And you, what you call yourself?“ Nein, so wirklich Respekt scheint der Mann nicht vor Autoritäten zu haben. Damit wäre dann auch mit dem ersten Schlagabtausch direkt das Grundsetting für das Verhör etabliert. Was folgt ist ein wundervolles Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Beamten Tony in die Enge treiben wollen.

Genau dieses Szenario wird nun für eine Art „negativer Einführung“ der Hauptfigur genutzt. Negativ, weil diese Szene die klassische Art der Figureneinführung gewissermaßen umdreht. In dem Gespräch werden, was ja eigentlich einer ganz klassischen Charaktereinführung entsprechen würde, viele Fragen zu Tonys Vergangenheit gestellt – die dieser auch brav beantwortet. Wir erfahren also jede Menge Hintergrundinformationen zu Tony, die alle aber einen kleinen Haken haben: Nichts, aber auch absolut gar nichts davon stimmt wohl.

Der Tod der Mutter, der Tod des Vaters, die Arbeit auf dem Bau – obwohl man die Figur eigentlich gerade erst kennengelernt hat, glaub man Tony schon jetzt kein Wort. Das hat einerseits mit der verwegenen Darstellung durch Pacino zu tun, aber eben auch vor allem mit dem Grundszenario: ein offensichtlich Krimineller sitzt im Verhörzimmer. Das Drehbuch weiß genau, wie dieses Szenario vom Zuschauer aufgenommen wird und das dieser damit rechnet, dass von einem Kriminellen nur bedingt ehrliche Worte zu erwarten sind. Dass Tony es auch wirklich nicht so mit dem Gesetz hat wird vom Drehbuch übrigens nochmal durch einen feinen kleinen Hinweis angedeutet. So erklärt Tony stolz, dass er Englisch mit der Hilfe seiner Idole Humphrey Bogart und James Cagney gelernt hat – und letzterer ist nun geradezu berühmt für seine Rollen als hartgesottener Gangster.

Vermutlich ist das wohl die einzige ehrliche Antwort, die man von Tony im Verlauf des ganzen Gesprächs bekommt. Stattdessen folgen immer wieder auch kleinere anti-autoritäre Ausfälle gegenüber den Grenzbeamten. Eine Frage nach seiner Sexualität kontert Tony zum Beispiel mit: „What the fuck is wrong with this guy“. Und mit „this guy“ ist ein offizieller US-Beamter gemeint.

Stellt sich nun aber natürlich die Frage, wie kann man etwas über eine Figur lernen, deren Aussagen wir offensichtlich nicht trauen können. Und genau hier kommt die wahre Stärke dieser Szene zum Vorschein. Nachdem wir nun gelernt haben, dass Tony wohl nicht die Wahrheit spricht, wird dieser Mechanismus auf wundervolle Art und Weise dafür genutzt, um Hintergrundinfos über die Figur zu transportieren. Tony wird so zum Beispiel nach seinem Drogenkonsum und einer möglichen Verstrickung in den Drogenhandel befragt. Während Tony konsequent alle Fragen verneint, macht der Zuschauer unbewusst in Tonys Vita bei den Stichworten Marihuana, Heroin und Kokain einen großen Haken. Genauso funktioniert das bei Tonys zögerlicher Antwort auf einen möglichen Gefängnisaufenthalt. Tony sagt „Nein“, der Zuschauer denkt sich aber automatisch „Ja“ – eben weil uns die ganze Szene geschickt dazu erzogen hat, das Gegenteil von Tonys Aussagen anzunehmen. So kann man eine Figur natürlich auch kennenlernen.

Das ist natürlich eine ganz clevere Art um Informationen zu transportieren und hat auch noch einen schönen Nebeneffekt: der Zuschauer denkt aktiv mit. Die Hintergrundinformationen zu Tony Montana werden von uns nicht einfach nur passiv konsumiert, sondern der Zuschauer erarbeitet sie sich sozusagen durch Mitdenken. Und was man nicht geschenkt bekommt, sondern sich erarbeitet, hat für uns nunmal immer einen höheren Wert – und genau deswegen wird die Szene und die Figur vom Zuschauer viel intensiver wahrgenommen.

Gleichzeitig wird nun aber auch noch wundervoll an der Spannungsschraube gedreht. Die ganze Atmosphäre wird deutlich hitziger, als die Narbe und das mysteriöse Tattoo von Tony zur Sprache kommen und dieser versucht, sich mit immer abstruseren Antworten dem steigenden Druck zu entziehen. Die Riesennarbe erklärt Tony mit einem Streit aus der Kindheit und das Tattoo als Liebeserklärung an seinen großen Schwarm – die Grenzbeamten wiederum interpretieren es als Zeichen für einen Auftragskiller. Größer könnte der Kontrast wahrlich nicht sein. Spätestens jetzt droht alles aus dem Ruder zu laufen.

Die Lage eskaliert. Tony sieht sich als politischen Gefangenen – und besteht auf seine Rechte. (Foto: ©Universal Pictures Germany)

Man sagt ja oft, dass sich unter Druck der wahre Charakter zeigt und hier wird das nun mal so richtig deutlich. Da wäre zum einen Tonys „Männlichkeit“. Die ist ihm verdammt wichtig, was man nicht nur schon bei der etwas patzigen Antwort auf die Frage nach einer mögliche Homosexualität gemerkt hat. Angesprochen auf die Narbe erklärt Tony als Rechtfertigung, dass diese ja nur aus einem Streit aus der Kindheit stammt. Harmlose Antwort, mit nur einem Haken: jetzt könnte eventuell ja jemand denken, dass Tony damals den Kampf verloren hat. Und so läßt Tony dann eben doch die Maske fallen, als er ganz schnell hinterher schiebt: „You should see the other kid. You can’t recognize him“. Tony will eben als richtiger Mann gelten – schließlich ist er ja auch mit Bogart und Cagney aufgewachsen.

Tony kann also seinen wahren Charakter doch nicht verbergen. Ähnlich verhält es sich mit dem brodelnden Vulkan, der in ihm steckt. Den hat er bisher halbwegs unter Kontrolle gehalten. Aber durch die Diskussion rund um sein Tattoo wird er nun in die Ecke getrieben und der Vulkan steht plötzlich kurz vor dem Ausbruch (wundervoll gespielt von Pacino, der jetzt das Grinsen ablegt und seine Figur ernst um Selbstbeherrschung ringen läßt). Was folgt ist noch ein letzter Versuch, die Emotionen im Zaum zu halten. Tony gibt seinen Gefängnisaufenthalt zu – liefert aber eine so hanebüchene Erklärung dafür, dass die Lage sich nur weiter zuspitzt.

Und genau in dem Moment, wo die Grenzbeamten Tony nun auch noch körperlich angehen ist Schluss mit lustig. Denn niemand fasst einen richtigen Mann der Kategorie Tony Montana ungefragt an. Es kommt beinahe zu Handgreiflichkeiten, gefolgt von einer wilden emotionalen Rede Tonys über die politische Situation Kubas. Es ist ein emotionaler Offenbarungseid. Auf diesen Moment hat die ganze Szene hingearbeitet. Was schließlich folgt sind zwei Sätze, welche die Motive von Tony und sein späteres Handeln einfach perfekt zusammenfassen. Aufgebracht wirft er den Beamten entgegen: „Do you want to be like a sheep? Like all those other people?!“

Nein, Tony Montana ist kein Schaf. Und er will auch nicht wie alle anderen sein. Diese zwei Sätze zeigen den Charakter Montanas in seiner pursten Form. Und gleichzeitig ist diese Szene auch eine Art Prophezeiung, denn das Tony seine Emotionen nicht im Griff hat wird später noch zu seinem Untergang führen. Ein emotional instabiler und größenwahnsinniger Macho – in einer einzigen Szene bekommen wir hier den Charakter von Tony auf dem Silbertablett serviert. Und das alles mit der Hilfe von Lügen und Halbwahrheiten – das nenne ich mal ganz großes Kino.

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