Film

Oskar Schindler – Schindlers Liste

Eine der schönsten Charaktereinführungen in einem Film über eines der grausamsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Bekommt sein verdientes filmisches Denkmal: Oskar Schindler.

Schindlers Liste (1993) – Die Story

Drehbuch: Steven Zaillian
Der findige Geschäftsmann Oskar Schindler (Liam Neeson) kauft in Krakau eine Fabrik und produziert mit preiswerten jüdischen Arbeitskräften erfolgreich Kriegsutensilien. Als Schindler aber den brutalen Umgang der Nazis mit den Juden erlebt, hat er nur noch ein Ziel: möglichst viele Juden vor dem sicheren Tod zu bewahren.

 

Die Einführung von Oskar Schindler

Oskar Schindler schenkt sich in seiner Wohnung einen Drink ein. Säuberlich legt er mehrere Anzüge und Krawatten auf sein Bett, packt seine Manschettenknöpfe aus und macht sich schick für den Abend. Ein großes Geldbündel darf natürlich auch nicht fehlen und zum Schluss wird noch schnell ein glänzender Nazi-Pin ans Revers geheftet.

Fein herausgeputzt betritt Schindler anschließend ein elegantes Restaurant und sichert sich mit etwas Bestechungsgeld beim Oberkellner einen Platz an einem der wenigen noch freien Tische. Während die Kellner noch rätseln, wer dieser spendierfreudige Fremde wohl sein mag, genießt Schindler den Ausblick auf mehrere hochrangige Nazioffiziere an den Nachbartischen. Besonders interessiert ist er aber an einem noch leeren Tisch direkt vor der Musikkapelle, der offensichtlich für einen besonderen Gast reserviert ist.

Schindler beginnt aber erst einmal, sich mit den bereits anwesenden Nazioffizieren und deren Frauen anzufreunden – mit der Hilfe von jeder Menge Charme und einer noch größeren Menge an Freigetränken. Schon bald feiert der ganze Raum mit Schindler und stimmt gemeinsam mit ihm ein Lied nach dem anderen an. Als der noch fehlende hochrangige Nazioffizier mit seiner Frau den Raum betritt, dauert es dann auch nicht lange, bis dieser sich nach unserem eleganten Partylöwen erkundigt. „Das ist Oskar Schindler“ entgegnet grinsend unser Oberkellner und wenige Gruppenfotos später stößt auch unser „Ober-Nazi“ mit Schindler auf einen gelungenen Abend an.

Die Analyse

Leichtfüßig, elegant und charmant. So könnte man die Einführung von Oskar Schindler wohl am treffendsten zusammenfassen. Und das bei einem Film über den Holocaust. Nicht nur das macht diese Einführung so spannend. Sie strotzt auch nur so vor Liebe zum Detail und zu ihren Figuren und kommt genauso souverän wie charmant daher. Und so gelingt ausgerechnet einem Film über eines der wohl grausamsten Kapitel der Weltgeschichte, eine der leichtfüßigsten Figureneinführungen des Kinos.

Faszinierend ist schon alleine die Position der Einführung von Oskar Schindler. Umschlossen wird diese nämlich mit zwei deutliche nachdenklicheren Sequenzen: der würdelosen Registrierung von Juden durch das NS-Regime zu Beginn und der dann später folgenden Sequenz mit deutschen Soldaten, die durch das jüdische Ghetto marschieren. Härter könnte der Kontrast nicht sein und man nimmt so schon clever das große Dilemma des Oskar Schindlers vorweg: ein „Herzensmensch“ der von einer eiskalten Welt umgeben ist.

„Schindlers Liste“ ist so ein wundervolles Beispiel dafür, dass eine Einführung nie nur für sich alleine steht. Stattdessen ist klar, die umgebenden Szenen nehmen auf die Etablierung der Figur natürlich ebenfalls Einfluss. Es macht übrigens auch durchaus Sinn, dass „Schindlers Liste“ seine Hauptfigur so leichtfüßig und unbeschwert einführt, da dadurch die Herausforderung und die Krise, die unser Held später zu bewältigen hat, natürlich dann umso schwerer wiegen.

Eine Geschichte sagt mehr als tausend Worte
Ein Grund, warum die Einführung von Oskar Schindler so gut funktioniert: sie ist nicht einfach nur eine simple Vorstellung der Figur. Stattdessen lernen wir Schindler durch eine kleine und in sich abgeschlossene Geschichte kennen. Schindler geht nämlich zu Beginn auf eine Mission und diese lautet das Vertrauen eines Nazi-Funktionärs zu gewinnen. Der Zuschauer erlebt dabei die Vorbereitung, Umsetzung und den anschließenden Erfolg dieser Mission. Eine Figur so kennenzulernen ist deutlich spannender und emotionaler, als einfach nur ein paar Fakten an den Kopf geworfen zu bekommen.

Weniger ist mehr – Schindlers Gesicht bleibt uns erst einmal verborgen
(Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Um die Spannung zu erhöhen und die Figur ein bisschen zu mystifizieren nutzt der Film dabei wieder einmal das so beliebte Versteckspiel mit dem Gesicht des Protagonisten. Erst wenn sich Schindler im Restaurant auf seinen Stuhl setzt bekommen wir ihn zu Gesicht, vorher sehen wir nur ein paar Umrisse und ein paar Hände. Obwohl dieses Stilmittel ja nun gefühlt in jedem zweiten Film oder Serienpiloten genutzt wird, lohnt es sich hier einmal etwas näher darauf zuschauen.

Vordergründig könnte man meinen, dass es im ersten Abschnitt in Schindlers Wohnung nur darum geht Schindler als durchaus wohlsituierten Mann zu zeigen, der sich offensichtlich auf ein wichtiges Treffen vorbereitet. Ein guter Drink, ein paar feine Anzüge und Accessoires, sowie eine gute Portion Cash in der Schublade – schlecht scheint es Schindler nicht gerade zu gehen. Aber auch wenn kein einziges Wort in dieser Szene fällt, gibt es doch noch mehr zu entdecken. Das Zauberwort heißt hier Körpersprache.

Körpersprache und Charakteraufbau
Charlie Chaplin meinte einmal, dass das wahre Wesen eines Menschen dann zum Vorschein kommt, wenn er betrunken ist. Wir gehen hier mal noch ein Stück weiter. Die Art und Weise wie jemand trinkt sagt auch schon etwas über die Figur aus. Wie Schindler seinen Drink ruhig einschenkt und dann das Glas elegant schwenkt, schon dies ist Charaktereinführung. Schindler legt auch seine Anzüge feinsäuberlich auf das Bett und zieht einen davon so geschmeidig an, das es schon fast in die Kategorie Ausdruckstanz fällt. Entschlossen, souverän, selbstsicher, elegant – alleine durch die Körpersprache entsteht hier im Kopf des Zuschauers schon ein erstes Bild der Figur.

Mit Eleganz in den Anzug – Körpersprache als Charakterbeschreibung
(Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Dieses Bild wird weiter ausgebaut als Schindler dann das Restaurant betritt und sich seinen Platz unter den Nazi-Größen clever erkauft. Dabei wird dieses Bild durch die Reaktion der Umgebung auf Schindler geschickt weiter verstärkt. Unser Ober ist geradezu fasziniert von diesem Gast und rätselt mit seinen Kollegen um wen es sich denn hier wohl handelt. Und der verstohlene Blick eines weiblichen Gastes auf Schindler zeugt von der Faszination, welche unser Protagonist offensichtlich auch auf die Frauenwelt ausübt. Ein wundervoll inszenierter und gespielter kleiner Flirt, der wie eine kleine Randnotiz wirkt und doch soviel mehr aussagt.

Hier geht es nämlich nicht nur um die Wirkung von Schindler auf Frauen, sondern auch um seinen Umgang damit. Er genießt diesen Moment spürbar und lächelt respektvoll zurück, nur um sich dann wieder ganz auf seine Mission zu konzentrieren. Ein Mann, der offensichtlich seine Wirkung kennt und mit dieser aber souverän umgehen kann. Solche kleinen Charaktermomente trifft man hier gleich mehrmals an und man kann gar nicht oft genug betonen, wie entscheidend solche für den Erfolg einer gelungenen Charaktereinführung sind.

Blicke eines Jägers
Der Fokus von Schindler liegt aber trotz ordentlichem Flirtpotential ganz auf seiner Mission. Der Zuschauer wird dabei geschickt zum Partner-in-Crime gemacht. Auch hier gibt es wieder ein Zauberwort: Blicke. Man muss einmal darauf achten, wieviele Einstellungen uns Schindler als Beobachter zeigen, der still sein Umfeld analysiert – wie ein Jäger, der sein Revier aufmerksam durchkämmt. Wir sehen dabei was er sieht und so landet man als Zuschauer im Kopf der Figur und wird geschickt emotional mit dieser verknüpft. Gleichzeitig verschafft dieses Jagd-Szenario der Figur eine gewisse Überlegenheit, weil offensichtlich niemand ahnt was Schindler vorhat. Stattdessen wirken all die versammelten Nazi-Schergen wie Rehkitze auf der Lichtung – unser Jäger muss sich nur noch das passende Opfer aussuchen.

Blicke eines Jägers – Schindler sucht seine „Opfer“
(Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Als das erledigt ist wird die nächste Stufe gezündet: Attacke. Hierbei legt die Figur vor allem zwei Eigenschaften an den Tag: Charme und Entschlossenheit. Die Art und Weise wie Schindler einen Nazi-Offizier, dessen Frau und Assistenten an seinen Tisch holt ist genauso dreist wie charismatisch. Es zeugt vor allem aber auch von einem hohen inneren Status, der nichts mit Abzeichen, sondern mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein zu tun hat.

Hoher Status dank Kontrast
Dieser hohe Status wird im Gespräch mit einem Kellner auch noch einmal wundervoll unterfüttert. Auf der einen Seite Schindler, der souverän ein paar Geldscheine zückt und dem Kellner aufträgt ein paar Gratis-Drinks an den Nachbartisch zu liefern. Auf der anderen Seite ein zögernder und stotternder Kellner, der mit soviel Entschlossenheit überfordert zu sein scheint. Der Kellner hat spürbar Angst davor, diese Drinks an den Tisch mit dem Nazi-Offizier zu liefern, aber Schindler entgegnet nur souverän, er solle einfach sagen sie kommen von ihm.

Kurze und entschlossene Worte gegenüber zögerndem Stottern – Kontrast ist einfach immer noch das effektivste Mittel um Charaktereigenschaften hervorzuheben. Kombiniert wird das hier aber auch mit der Liebe zum Detail. Als sich unser Nazioffizier über die Lieferung der Gratis-Drinks eher wundert als freut, sieht man im Hintergrund ganz kurz Schindler mit einer Fotografin schäkern und ihr Geld geben. Genau diese Fotografin wird später die Fotos von Schindler mit den Nazigrößen machen. Das alles plant Schindler also mal so eben im Hintergrund und wahrscheinlich bekommt die Hälfte des Publikums diesen kurzen Moment gar nicht erst richtig mit. Aber genau diese Liebe zum Detail macht eben oft den Unterschied zwischen einer guten und einer sehr guten Szene.

Zivilisation vs. Barbarei
Das Mittel des Kontrasts kommt dann auch noch in einem der wohl schönsten und aussagekräftigsten Momente dieser Sequenz zum Einsatz. Nachdem Schindler erfolgreich das ganze Restaurant auf seine Seite gezogen hat und mit allen Nazis an einem Tisch sitzt, schnappt er sich den Oberkellner für eine Besprechung des Weinsortiments. Während Schindler einen Wein nach dem anderen durchgeht, auf der Suche nach dem edelsten Tropfen, stopfen im Hintergrund die Nazi-Offiziere sich das Essen mit den Händen in den Mund und lästern über Juden. Mit anderen Worten: Zivilisation auf der einen, Barbarei auf der anderen Seite.

Schindler bespricht das Weinangebot, die Nazis geben sich der Völlerei hin
(Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Die Bedeutung dieses Momentes ist nicht zu unterschätzen. Er zieht nämlich eine deutliche Trennlinie zwischen Schindler und den Nazis. Es soll ja nicht der Verdacht aufkommen, die beiden Parteien würden sehr viel miteinander gemeinsam haben. Gerade weil Schindler so viel „Spaß“ mit den Nazis in dieser Sequenz hat, brauche ich genau so einen Moment um das Image der Figur nicht anzukratzen. So wird deutlich gemacht, dass Schindler unter normalen Umständen mit diesen Leuten wohl kaum an einem Tisch sitzen würde.

Was die Einführung von Schindler dann noch so perfekt macht ist ihr gelungener Schlussakkord. Am schönsten ist dabei wohl der Blick des Oberkellners, als er von dem verspätet eintreffenden Nazi-Funktionär nach dem Namen unserer charismatischen Hauptfigur gefragt wird. Vor ein paar Stunden war dieser Mann noch ein Rätsel für ihn, nun wirkt der Oberkellner geradezu irritiert, dass unser Funktionär diesen gar nicht kennt. „Das ist Oskar Schindler!“ – diese Aussage fast die Szene und die erfolgreiche Etablierung des Protagonisten beim Zuschauer perfekt zusammen.

Liebe zum Detail
Gemeinsam feiern wir mit Schindler dann den Erfolg seiner Mission – unser Nazifunktionär und seine Kollegen reißen sich geradezu darum mit Schindler noch ein Abschlussfoto zu bekommen. Auch hier wird wieder die Liebe fürs Detail deutlich. Einer der Nazioffiziere schiebt seinen Kopf bei dem Foto mal eben schnell vor den seiner weiblichen Begleitung, nur um auf dem Bild noch ein Stück näher an Schindler zu sein. Ein schöner kleiner Lacher, der aber natürlich auch auf das Anziehungskraft-Konto unserer Hauptfigur einzahlt. Diese Szene wird aber auch dadurch erst so kraftvoll, weil wir vorher einmal in einem Nebensatz gehört haben, wie sehr sich unser „Nazi-Kollege“ eigentlich auf den Abend mit seiner zauberhaften Begleitung gefreut hat.

Schindler als beliebtes Fotomotiv- da tritt die Begleitung in den Hintergrund
(Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Es sind diese kleinen Nebengeschichten und auch der liebevolle Umgang mit den Nebenfiguren, die hier den Unterschied machen. Unser Kellner, der erst über unseren Gast rätselt und dann diesen vergöttert. Unser Nazioffizier, der eigentlich hier war um seine Date Singen zu hören und jetzt nur noch Ohren für Schindler hat. Oder man achte einmal auf die Fotoaufnahme, in der Schindler neben einer Gruppe Frauen zu sehen ist. Rechts im Arm ist die Dame, mit der er noch zu Beginn kurz geflirtet hatte – wer weiß welche Geschichte sich dahinter noch verbirgt. Genau solche kleinen Details sorgen für eine wundervolle Tiefe und selten ist so etwas in einer Einführung so gut zu sehen wie in der von Oskar Schindler.

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