Serie

Owen Milgrim – Maniac

Schizophrenie lautet die Diagnose. Aber kann man Ärzten trauen? Oder sollte man lieber nicht doch auf die Stimmen im Kopf hören? Ist vielleicht nur verrückt: Owen Milgrim.

Maniac (seit 2018) – Die Story

Drehbuch Episode 1: Patrick Somerville
Owen Milgrim (Jonah Hill) ist schizophren. Glaubt er zumindest. Annie Landsberg (Emma Stone) wiederum ist tough aber hat so ihre Probleme mit Beziehungen. Beide landen im Testlabor für eine neue pharmazeutische Behandlung. Inklusive Gratis-Drogen. Den Zettel mit den Risiken und Nebenwirkungen hätten sie aber besser aber mal vorher durchgelesen…

 

Die Einführung von Owen Milgrim

Wir sehen Owen leicht apathisch in einem Stuhl sitzen. Eine Stimme fragt ihn im Namen des Gerichts, wie er zu dem Angeklagten Mr. Jed Milgrim steht. Owen antwortet, dass es sich dabei um seinen Bruder handelt. Er wird dann gefragt ob er schon einmal verhaftet wurde, verheiratet ist oder Kinder hat. Owen verneint alle drei Fragen. Dann erstarrt er aber, als er nach einem vor 10 Jahren stattgefundenen psychotischen Schub gefragt wird. Owen blickt sich hilfesuchend um. Erst jetzt erkennen wir, dass wir nicht vor Gericht sind. An einem langen Tisch sitzen Owens Vater und mehrere Rechtsvertreter.

Owens Vater versichert seinem Sohn, dass diese Fragen notwendig seien um Owen auf seine Befragung vor Gericht vorzubereiten. Also gibt Owen zu vor 10 Jahren einmal zur medikamentösen Behandlung in eine Psychiatrie eingeliefert worden zu sein. Dies wäre aber definitiv sein letzter Schub gewesen. Als Owen dann von einem der Anwälte nach der genauen Art der Psychose befragt wird, fällt sein Blick auf ein Glas Wasser auf dem Tisch. Das Glas fängt aus Owens Sicht auf einmal an wie von Geisterhand zu vibrieren. Nach ein paar Sekunden ist der Spuk vorüber – und Owen spürbar durch den Wind.

Der Anwalt hakt weiter nach. Würde diese Psychose Owen nicht als Entlastungszeugen für seinen Bruder disqualifizieren? Owens Vater schreitet ein. Nur eine Sache wäre hier entscheidend: weiß Owen was real ist und was nicht? Der Blick von Owen fällt wieder auf das Glas Wasser. Es bewegt sich nicht. Owen erklärt zögernd vollkommen zurechnungsfähig zu sein.

Die Analyse

Das die Hauptfigur nach einem legendären psychologischen Experiment benannt wurde ist ja schon einmal ein Hinweis auf die Natur dieser Serie. Aber benötigt eine abgedrehte Serie, die auf irrwitzige Weise mit der Realität jongliert, auch eine abgedrehte Einführung der Hauptfigur?

Der Beginn der Einführung wirkt überraschenderweise erst einmal genauso „klassisch“ wie einfallslos. Über die nüchterne Befragung von Owen bekommen wir kurz und kompakt ein paar wichtige Fakten zur Figur serviert. Glücklicherweise macht es sich die Serie aber nicht ganz so einfach und wir merken schnell, dass wir hinters Licht geführt wurden. Ist nur ein Testverhör. Was wiederum der Einführung einen neuen Drive gibt und so mehr Tiefe in die bisher scheinbar nüchterne Präsentation injiziert.

Diese Wendung ist natürlich ein netter Einfall um schön zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ich bringe schnell ein paar trockene Fakten zu meiner Figur an den Mann, schaffe es aber gleichzeitig die Neugier des Zuschauers nicht zu verlieren. Kombiniert mit der schauspielerischen Darstellung der Figur hat man so nach wenigen Sekunden bereits ein relativ gutes Bild von Owen vor sich. Schüchterner Junge, nie verheiratet, keine Kinder, keine Probleme mit dem Gesetz. Mit anderen Worten: Langweiler.

Langweiler mit Problemen
Da diese Spezis jetzt eher weniger zu den Publikumslieblingen zählt warten wir als Zuschauer nun natürlich aber noch sehnsüchtig auf etwas Besonderes. Das kommt dann in Form des Geständnisses, dass Owen einmal in psychiatrischer Behandlung war. Interessant ist aber nicht nur alleine dieser Fakt, sondern vor allem auch, wie Owens Geständnis präsentiert wird.

Nervös über und unter dem Tisch – dieser Zauberwürfel wird wohl nicht gelöst werden. (Foto: ©Netflix)

Da wäre einmal der Zauberwürfel, mit dem Owen nervös unbemerkt unter dem Tisch spielt. Dabei geht es gar nicht alleine darum, dass diese Handlung an sich ein Hinweis auf eine tiefergehende Nervosität seitens der Figur ist. Entscheidend ist auch, dass dieser Moment nicht einfach nur nebenbei gezeigt wird. Gerade weil die Kamera extra leicht unter den Tisch fährt um dieses kleine „Geheimnis“ preiszugeben, wird dies explizit so hervorgehoben.

Es ist eben ein großer Unterschied, ob ich solch kleine Charaktermomente „zufällig“ einfange, oder ob ich explizit mit der Kamera ihre Bedeutung stärke. Charakteraufbau kann also auch durch solch eine visuelle Steuerung erfolgen. Es macht natürlich auch einen Unterschied, ob Owen den Würfel offen über oder versteckt unter der Tischkante nutzt. Unser Owen möchte seine Unsicherheit auf jeden Fall lieber vor den Mitmenschen verbergen.

Ein Zauberwürfel sagt mehr als tausend Worte
Nicht verborgen bleibt ein weiteres liebevolles kleines Detail. Unsere zweite Hauptfigur Annie hat in der Szene davor just so einen Zauberwürfel auf dem Sperrmüll gefunden und gelangweilt weggeworfen. Damit sorgt die Serie natürlich nicht nur für eine erste Verbindung zwischen diesen beiden Figuren, die sich erst später treffen werden. Es hat auch etwas sinnbildliches für unsere beiden Hauptakteure. Annie ist tough und selbstsicherer als Owen, sie wirft das Ding gelangweilt hinter sich. Owen wiederum ist der unsichere Typ, er spielt nervös damit herum. Ein Zauberwürfel als Vehikel zur Charakteretablierung – feine Sache.

Annie findet den Zauberwürfel – und entsorgt ihn gleich wieder. (Foto: ©Netflix)

Das Owen vor anderen Menschen oft unsicher ist zeigt sich aber nicht nur alleine durch ein Spielzeug aus den 80ern. Je persönlicher die Fragen werden, desto schwieriger tut er sich mit der Beantwortung vor der Gruppe (gar nicht auszudenken, wie das wohl in einem Gerichtssaal aussehen würde). Verdeutlicht wird dies auch durch den Rechtsanwaltsgehilfen, der während des Verhörs genau dann durch die Türe kommt, als Owen die entscheidende Frage nach einem möglichen Psychiatrieaufenthalt gestellt bekommt.

Dieser Gehilfe sagt kein Wort. Er verteilt einfach nur ein paar Akten und stellt sich dann in die Ecke. Aber was völlig nebensächlich wirkt und keinen großen Einfluss auf die Handlung zu haben scheint, sorgt für einen schönen weiteren Einblick in den Charakter von Owen. Der dreht sich nämlich nervös zur der sich öffnenden Tür um und ist nun spürbar noch unentspannter. Man kann sich förmlich in seinen Kopf reinversetzen. Oh mein Gott, noch ein Zuhörer.

Ein Glas voller Probleme
All dies sind kleine Puzzleteile, bevor das große Herzstück der Einführung präsentiert wird: ein Glas Wasser. Genauer, dessen Hauptrolle als vibrierender Behälter in Owens ganz eigener Form der Realitätswahrnehmung. Jetzt sind die Karten auf dem Tisch, dieser Mann hat ein ernsthaftes Problem. Was dann auch direkt gefolgt wird von der alles entscheidenden Frage durch Owens Vater: Owen, do you know what is real?

Zu tief ins Glas geschaut – Owen zweifelt an der Realität (Foto: ©Netflix)

Subtil ist dieses Vorgehen jetzt nicht mehr, das Publikum bekommt diese Gretchenfrage sozusagen in ihrer direktesten Form serviert. Und da Owen diese nur zögernd und nicht wirklich überzeugend beantwortet ist das Hauptdilemma der Figur damit auch ziemlich eindeutig etabliert. Aber auch wenn das Ende mit dem Holzhammer daherkommt, der Weg dorthin ist mit ein paar schönen subtilen Andeutungen gespickt und so ist die Einführung von Owen dann doch eine runde Sache. Eben weil der Zuschauer vorher etwas Zeit bekommt sich ein eigenes Bild von der Figur zu machen und die „Offenbarung“ am Ende so nicht unglaubwürdig wirkt. Hat man sich ja schon denken können, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmt.

Von Sinnen – der ältere Mann im Hintergrund (mittig stehend) hat nur einen Kurzauftritt. (Foto: ©Netflix)

Das hier durchaus clevere Filmemacher am Werk sind, sieht man auch einem kleinen Gag, den sich diese mit dem Zuschauer erlauben. Und der erst bei genauerem Hinsehen auffällt. Zwischen den beiden im Hintergrund stehenden Rechtsanwaltsgehilfen taucht in einem Moment eine dritte Person mit einem Schreibblock auf. Genau dann, als sich der Anwalt nach Owens Psychose erkundigt – und das dieser Menschen sieht, die eigentlich gar nicht da sind. Im nächsten Schnitt ist die Figur auf mysteriöse Weise verschwunden. Continuity-Problem? In einer Serie, in der die Hauptfigur ein Problem mit seinen Sinneswahrnehmungen hat wohl eher ein weitere Hinweis auf deren Dilemma. Und ein kleines Spielchen mit dem Zuschauer. Womit dann ja eine durchaus passende Einführung für eine Serie mit dem Namen „Maniac“ gefunden wäre.

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