Erst Kinder unterrichten, dann diese mit Crystal Meth versorgen – da hat wohl einer den Bildungsauftrag nicht verstanden. Hätte der neuen GroKo-Bildungsministerin Anja Karliczek wohl kaum zugesagt: Chemielehrer Walter White.
Breaking Bad (2008-2013) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Vince Gilligan
Der Chemielehrer Walter White erkrankt an Lungenkrebs und sieht nur noch einen Ausweg, um seiner Familie eine finanziell sichere Zukunft zu ermöglichen: zusammen mit seinem ehemaligen Schüler Jesse Pinkman steigt er heimlich in den Drogenhandel ein und baut sich sein eigenes Methamphetamin-Labor. Das sieht die nicht gerade zimperliche Konkurrenz aber mal so gar nicht gerne.
Die Einführung von Walter White
Ein alter Wohnwagen rast in Schlangenlinien durch die Wüste von New Mexiko. Am Steuer, nur mit Unterhose und Gasmaske ausgestattet: Walter White. Auf dem Beifahrersitz sitzt der ohnmächtige Jesse Pinkman, weiter hinten liegen zwei leblose männliche Körper und jede Menge zerbrochene Flaschen und ausgelaufene Flüssigkeiten. Es herrscht Chaos. Der Camper fährt in einen Graben – und Walter steigt völlig verzweifelt aus, um frische Luft zu schnappen. Sirenen ertönen.
Walter bekommt Panik. Er nimmt einem der im Camper liegenden Männer eine Pistole ab, schnappt sich seinen eigenen Geldbeutel und eine Videokamera, geht nach draußen und nimmt dort eine Videobotschaft für seine Familie auf. Seiner Frau und seinem Sohn teilt er via Kamera mit, dass er sie liebt und sie bald einige unliebsame Dinge über ihn erfahren werden. Aber egal wie alles auch aussehen mag, er betont alles nur aus Liebe für sie getan zu haben. Walter stoppt die Aufnahme und schnauft durch. Die Sirenen werden lauter. Entschlossen geht Walter auf die Strasse und wartet mit gezogener Waffe auf die seiner Meinung nach gleich eintreffende Polizei.
Analyse: Das nackte Chaos
Komplettes Chaos. So kann man den Beginn von „Breaking Bad“ wohl am Besten zusammenfassen. Und trotzdem findet sich in all dem Chaos ein System und Autor Vince Gilligan zeigt, dass er einer der großen der Zunft ist. „Breaking Bad“ verrät uns in seiner ersten Szene nämlich unglaublich viel über seine Hauptfigur – wenn man bereit ist genau hinzuschauen.
Zuerst treffen wir aber mal wieder auf den guten alten Kniff, mit Beginn der Folge gleich direkt in die Haupthandlung zu springen – und damit in das „neue Leben“ des Protagonisten (ähnlich wie bei „The Walking Dead“). Gilligan pfeift drauf, die Hauptfigur und das Setting erst mal behutsam zu etablieren. Stattdessen kriegen wir erst einmal einen Adrenalinkick – damit der Zuschauer gar nicht erst auf die Idee kommt abzuschalten.
Wir werden sozusagen „angefixed“ als Zuschauer und das „Anteasen“ des Zuschauers wird von Walter dann auch noch dadurch verstärkt, dass er in seiner Videobotschaft an seine Familie von sehr extremen „Dingen“ spricht, die in den letzten Tagen in seinem Leben passiert sind. Kombiniert mit dem Cliffhanger am Ende der Szene funktioniert das als emotionaler Haken für den Zuschauer schon ziemlich gut. Man fragt sich nun wie dieses ganze Chaos rund um Walter entstanden ist und wie es wohl ausgehen mag.
Chaotisch wirkt in dieser Szene auch die Hauptfigur – zumindest auf den ersten Blick. Walter White wirkt am Anfang komplett überfordert und verwirrt. Er ist offensichtlich in irgendeine kriminelle Machenschaft verwickelt, wirkt aber viel zu aufgelöst, um als Profiverbrecher durchzugehen. Die ganze Situation und das Verhalten von Walter haben etwas von Slapstick – und Humor funktioniert ja bekanntlich immer gut als emotionales Band zwischen Figuren und Zuschauer. So wird durch den Humor in der Szene schon einmal das Sympathiekonto der Hauptfigur beim Publikum befüllt. Das Szenario ist hier aber nur ein Faktor, über die Figur selbst bekommen wir noch viel konkretere Informationen geliefert.
Mit Hilfe der Videokamera stellt sich Walter White dann nämlich sozusagen „direkt“ bei uns vor, inklusive Wohnadresse. Wir erfahren ebenso, dass er noch eine Frau und einen Sohn hat, die er wirklich zu lieben scheint (nächster Sympathiepunkt beim Zuschauer) und dass er wohl ein paar schlimme Leichen im Keller hat (beziehungsweise Camper). Zugegeben, die Einführung via direkter Videoansprache ist nun nicht unbedingt ein sehr subtiles Mittel, um uns mit Infos zu versorgen. Clever ist aber die Art und Weise, wie Whites Botschaft uns auch noch indirekt ein paar weitere Eigenschaften von ihm verrät.
Bei all dem Chaos ist es nämlich erstaunlich, dass Walter entgegen der äußeren Wirkung zumindest inhaltlich eine relativ durchdachte Botschaft abliefert. Nicht nur nennt er seinen kompletten Namen, inklusive zweitem Vornamen. Er denkt auch daran, der Polizei mitzuteilen, dass diese Botschaft kein Schuldeingeständnis ist. Man achte hier mal auf die Formulierung: „To all law-enforcement entities, this is not an admission of guilt“. Man hätte die Jungs ja auch einfach Cops nennen können, aber Walter formuliert das eloquent und korrekt – und das in diesem Zustand. Er denkt sogar auch noch daran, seinen Ausweis neben die Videokamera zu legen, damit die Polizei gleich alle Daten hat. Das ist schon auf fast auf surreale Weise vorausdenkend. Ein sehr korrekter und durchaus gebildeter Verbrecher, der es der Polizei so einfach wie möglich machen möchte.
Walter White wirkt hier aber nicht nur viel zu korrekt, um ein wirklich durchtriebener Verbrecher zu sein. Auf wundervolle Art und Weise nimmt seine Handlung hier auch schon eine der Haupteigenschaften der Figur vorneweg. Selbst im größten Chaos versucht Walter nämlich noch möglichst logisch zu agieren (wobei am Ende der Folge dann doch alles ganz anders kommt, als es Walter gedacht hat – was übrigens so etwas wie das Markenzeichen der Serie wird). Ebenfalls versteckt in der Ansprache ist bereits auch der große Konflikt der Figur, der diese durch alle Staffeln begleiten wird. Walter weiß, dass er illegal handelt, versucht aber für sich selbst, und auch vor anderen, die Fassade des guten Menschen aufrechtzuerhalten. Dieses Muster ist schon hier in der ersten Szene zu sehen. Gegenüber der Polizei verweigert er in seiner Nachricht das direkte Schuldeingeständnis, aber gegenüber seiner Familie gibt er seine Taten dann doch indirekt zu.
Und am Ende der Szene kriegen wir auch noch einen weiteren Einblick in das Seelenleben von Walter. Er geht, nach kurzem durchatmen, mit erstaunlicher Entschlossenheit hoch zur Strasse und richtet die Waffe in Richtung der Sirenen. Wir merken auf einmal, so ganz ungefährlich ist dieser Mann dann doch nicht – hier versteckt sich auch eine dunkle Seite. Die Eröffnungsszene von „Breaking Bad“ schafft es damit, die Vielschichtigkeit der Figur und einige ihrer wichtigsten Charaktereigenschaften schon mal vorwegzunehmen. Ein ganz schön cleverer Beginn für eine ganz schön clevere Serie.
P.S.: Eine Rezension von mir zu den ersten drei Staffeln gibt es übrigens hier bei den Jungs von filmszene zu lesen.