Mathematik zu lernen macht einen wahnsinnig. Was wir damals schon in der Schule wussten, beweist uns aber auch Hollywood im faszinierenden Porträt des Genies und Außenseiters John Nash.
A Beautiful Mind (2001) – Die Story
Drehbuch: Akiva Goldsman
Um auf der Elite-Uni Princeton als Genie zu gelten muss man einiges auf dem Kasten haben. Das Mathematik-Wunder John Nash (Russell Crowe) zieht aber nicht nur bewundernde, sondern auch irritierte Blicke der Kollegen auf sich. John leidet nämlich an einer schizophrenen Psychose und treibt nicht nur seine Frau mit wilden Wahnvorstellungen an den Rand der Verzweiflung.
Die Einführung von John Nash
Mit pathetischen Worten werden die Mathematik-Studenten an der Einführungsveranstaltung der Uni Princeton begrüßt. Ganz im Hintergrund, gedankenversunken auf einem Stuhl an der Wand, sitzt John Nash. Auch beim anschließenden Outdoor-Umtrunk zeigt er sich nicht von der sozial-verträglichsten Seite. Lieber widmet er sich den Reflexionen von Gläsern oder den auffälligen Krawattenmustern seiner Mitstreiter. Und nutzt deren häßliche modische Accessoires zur Gesprächseröffnung.
Die Kommilitonen nehmen es ihm allerdings nicht so krumm und möchten zumindest wissen wie dieser seltsame Kauz denn heißt. Doch der schüchterne Nash zögert in die Konversation einzusteigen. Die Arbeit nimmt ihm aber der dazustoßender Mitstudent Martin Hansen ab, der Nash scherzhaft als Kellner bezeichnet. Eine Provokation, die Nash nicht gerade einfühlsam kontert, in dem er Hansens letzte Publikation als komplett bedeutungslos und uninspiriert abkanzelt. Die Stimmung ist darauf im Keller und Nash entscheidet sich die traute Runde zu verlassen.
Die Analyse
Es ist immer schön zu sehen, wenn die Essenz einer Figur schon direkt in der ersten Einstellung nahezu perfekt getroffen wird. Ganz ohne Worte wird John Nash gleich zu Beginn als introvertierter Außenseiter etabliert. Und wie so oft bedient man sich in so einem Fall dem einfachen Trick, dies mit der Hilfe des größtmöglichen Kontrastes auszudrücken: während alle anderen Studenten gebannt den begrüßenden Worten ihres Professors lauschen, sitzt Nash ganz im Hintergrund in sich versunken auf einem Stuhl an der Wand.
Und während die Kollegen eng nebeneinander positioniert sind und mit fokussiertem Blick der Rede lauschen, spielt Nash nervös und mit gesenktem Blick mit seinen Händen. Doch diese offensichtliche visuelle Ebene ist nur ein Teil des Charakterpuzzles. Auch die Worte des Professors spielen in die Charakterzeichnung mit rein. Nicht nur liefert man dem Publikum so etwas nötige Exposition (“Mathematiker wie Sie…“), man pflanzt auch geschickt weitere Charakterinfos über die Hauptfigur in die Köpfe der Zuschauer.
Kontrastreiche Einführung
Während unser guter Professor darüber philosophiert, wer im Raum wohl der nächste Morse oder Einstein werden wird, fährt die Kamera langsam auf den in sich versunkenen Nash zu. Auf Basis dieser Kombination aus Text- und Bildebene zieht das Publikum nun fast zwangsläufig den Schluss, dass gerade dieser Nash wohl in diese berühmten Fußstapfen treten wird. Ein weiteres Beispiel dafür, wie man die Erwartungshaltung des Publikums und dessen Erfahrungen mit unzähligen Filmen dafür nutzen kann, um geschickt Schlussfolgerungen zu provozieren ohne diese direkt aussprechen zu müssen.
Und weiter geht es auf der audiovisuellen Meta-Ebene. Wenn Nash bei den Worten des Professors dann als nächstes zum gut aussehenden und sehr relaxt wirkenden Kommilitonen Martin Hansen blickt, dann spricht auch das Bände. Wieder einmal wird ein starker Kontrast bemüht – introvertierter Außenseiter gegen selbstbewussten Schönling. Wohlgemerkt ohne, dass hier Worte fallen. Alleine die Körperhaltung der zwei drückt ihre unterschiedlichen Charakterzüge aus. Was wiederum unseren Eindruck von der Außenseiterrolle von Nash nur weiter verfestigt.
Das Trauma des Nerds
Die Grundzüge der Figur sind also bereits etabliert – nun wird diese erste Charaktergrundlage aber noch weiter verstärkt und ausgeschmückt. Und wie kann man eine Außenseiterrolle noch weiter verdeutlichen? In dem man die Figur mit dem schwierigsten konfrontiert, was man sich für einen auf der sozialen Ebene eher minder begabten Außenseiter ausdenken kann: eine kleine Party.
Und so wird weiter nach dem Grundsatz agiert, dass Gegensätze die Charakterzeichnung verstärken.
So wirkt John Nash bei der kleinen informellen Begrüßungsparty auf dem Campushof noch einsamer als zuvor. Er steht gedankenverloren alleine im Hof, während alle anderen entspannt miteinander plaudern. Ob auf dem Stuhl im Vorlesungsraum oder hier bei der Party – die Filmemacher separieren ihre Figur so stark es geht von dem Rest, um deren Außenseiterrolle so schnell wie möglich beim Publikum zu etablieren. Doch damit gegeben sie sich nicht zufrieden, die zentralen Charaktereigenschaften müssen noch weiter zementiert werden. Und es ist leicht zu erahnen, wie dies wohl am Besten gelingen könnte. Auf in die Konversation mit dir, Junge.
Musterhafte Charaktereinführung
Geschickt verknüpft man dabei nun zwei der markantesten Eigenschaften der Hauptfigur in einer einzigen Szene. Nämlich die Tatsache, dass John ein besseres Gefühl für Zahlen und Muster besitzt als für Menschen. Womit man auf der einen Seite die introvertierte Außenseiterrolle weiter zementiert, während man gleichzeitig das intellektuelle Potential und Genie der Figur etabliert. So beschäftigt sich Nash auf der Party anstatt mit Menschen lieber mit den Reflexionen von Gläsern. Und als er dann mit einer möglichen Konversation mit zwei Kollegen konfrontiert wird, rettet er sich auch wieder lieber in sein vertrautes Hobby der Lichtreflexanalyse.
Nur dadurch, dass das Muster des Glases, mit dem Nash herumspielt, ihn schließlich an das Krawattenmuster des Gegenüber erinnert, gelingt es Nash Worte für eine Gesprächseröffnung zu finden. Womit unterstrichen wird: nur durch oder über seine Arbeit ist dieser Mensch in der Lage mit anderen in Kontakt zu treten. Doch dabei hat Nash auf „normale Menschen“ eher eine irritierende Wirkung – schließlich steht “vernichtende Krawattenkritik“ nicht gerade ganz oben auf der Liste der besten Gesprächseröffnungen.
Außenseiter mit Charme
So verstärkt sich Stück für Stück immer weiter unser Bild von diesem Charakter. Aber wie sieht es denn mit dem hier im Blog immer so oft strapazierten emotionalen Band zum Publikum aus? „Unsozialer Nerd“ klingt jetzt nicht gerade nach einer guten Charakter-Kategorie für Protagonisten, die das Herz des Publikums erobern sollten. Hierfür findet der Film vor allem zwei Antworten.
Die erste wäre die empathische Art und Weise, mit der Russell Crowe die Rolle spielt. Mit einem kleinen verschmitzten Lächeln deutet er an, dass seine Figur diese “Krawattenbeleidigung“ nicht zu 100% ernst meint. Viel zu selten spreche ich hier im Blog ja die Leistung der Darsteller an, aber es versteht sich ja auch fast von selbst, dass die Art und Weise der Darstellung sehr stark über die Liebe des Publikums zu einer Figur entscheidet.
Ein Vergleich der Sympathie aufbaut
Doch alles auf die Verantwortung des Hauptdarstellers abzuwälzen ist keine gute Idee und so hat das Drehbuch noch einen zweiten Kniff in Petto. Den wir hier im Blog auch schon oft beschrieben haben. Es liefert uns einfach einen deutlich unsympathischeren Gegenspieler, der uns automatisch emotional in die Arme unseres Protagonisten treibt.
Mit dem Auftreten von Martin Hansen, der Nash arrogant als einfachen Kellner abkanzelt, treibt man die Sympathien des Publikums direkt auf die Seite von John Nash. “Das ist ja ein Arsch“, denkt sich das Publikum. Und das die anderen Kommilitonen ebenfalls Hansens Umgangsformen kritisieren („Nice is not Hansen’s strong suit“) bestätigt uns als Zuschauer in unserer Analyse auch noch.
Ein Underdog darf alles
Ganz so einfach macht es sich der Film hier aber nicht und untergräbt nun wieder etwas diese sich anbahnende moralische Schwarz-Weiß-Zeichnung. Unsere Hauptfigur ist ein komplexer Charakter und stellt nun auch unter Beweis, dass sie ebenso unter der Gürtellinie austeilen kann. In nur einem Satz vernichtet Nash mit seinen Worten die letzte Studienarbeit des Kollegen und zeigt sich so von einer genauso arroganten Seite wie sein Gegenüber. Trotzdem kommt er damit beim Publikum durch ohne zu viel von dessen Gunst zu verlieren. Warum?
Die Antwort ist simpel. Unsere Sympathien sind bereits vergeben, deswegen wird dieser Konter eher als verdiente Rache denn als unsympathische Reaktion bewertet. Frühzeitig ist ja auch Hansen bereits in die Rolle des selbstbewussten Schönlings gedrängt worden, während unsere Hauptfigur geschickt als Underdog positioniert wurde. Gleichzeitig haben wir von Nash bereits erste Anzeichen eines möglichen Genies aufblitzen sehen, vom Gegenüber aber nicht. Was zur Folge hat, dass wir der fachlichen Kritik von Nash innerlich zustimmen, beziehungsweise zustimmen wollen.
Lucky Punch der Hauptfigur
So greift hier also am Ende ganz geschickt ein Rädchen in das andere. Die Art und Weise wie hier die Figur aufgebaut wird sorgt dafür, dass man deren Komplexität und „Andersartigkeit“ durchaus mit den Sympathien des Publikums in Einklang bringen kann. So ist „A beautiful Mind“ ein schönes Beispiel dafür, wie man eine Figur, deren Charakter eher grau als schwarz oder weiß angestrichen ist, beim Publikum emotional erfolgreich andocken kann.
Und am Ende entläßt man die Figur dann auch noch mit einem „lucky punch“, der das alles noch einmal schön auf den Punkt bringt. Mit dem an Hansen gerichteten Abschiedsgruß „enjoy your punch“ verläßt John die Szenerie. Und spricht damit natürlich nicht nur den leckeren Früchtepunsch auf dem Tisch an, sondern seine erfolgreiche Replik – ein “intellektueller Punch“ in die Magengrube. So seltsam dieser Zeitgenosse auch ist, unser Protagonist entpuppt sich als durchaus schlagkräftiger Underdog. Der beim Publikum damit dann auch für ein kleines Lächeln und zustimmendes Nicken sorgt. Und in solchen Fällen weiß man: Charaktereinführung gelungen.