Make America Great Again. Aber bitte nicht mit Fake News. Kämpft genauso heldenhaft wie naiv für einen anständigen Journalismus abseits der Quotengeilheit: Will McAvoy.
The Newsroom (2012 – 2014) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Aaron Sorkin
Wie wäre es mit einer völlig neuen Art der Nachrichtensendung. Eine Sendung, die sich investigativen und nicht sensationsgeilen Journalismus auf die Fahne schreibt. Genau das nimmt sich Nachrichtensprecher Will McAvoy (Jeff Daniels) vor. Aber diese ehrgeizigen Pläne müssen im Sender erst einmal die Launen der Chefetage überstehen.
Die Einführung von Will McAvoy
Auf der Bühne einer Aula streiten sich zwei Teilnehmer einer öffentlichen Diskussionsrunde. Thema: die politische Situation in den USA. Nur der dritte Teilnehmer, der hält sich fein raus. Will McAvoy beobachtet süffisant-genervt die beiden emotional aufgeplusterten Streithähne neben ihm. Er blickt anschließend ins Publikum und scheint dort eine ihm vertraute Frau zu sehen. Oder hat er sich nur getäuscht? Der Moderator weckt ihn aus seinem kleinen Tagtraum. Brav und diplomatisch beantwortet Will dessen Frage, genauso wie eine weitere Frage aus dem Publikum.
Der Moderator versucht Will zu provozieren. Will habe es bisher tunlichst vermieden sich zu einer politischen Richtung zu bekennen. Doch Will läßt sich nicht locken. Bis die junge Studentin Jenny von ihm hören möchte, warum die USA das großartigste Land der Welt seien. Will hat wieder einen Tagtraum. Die Frau im Publikum hält darin ein Schild hoch: „It’s not. But it can be“. Will kommt ins Grübeln. Und legt los. Er spricht sich in Rage. Und erklärt dem irritierten Publikum, was alles in diesem Land falsch läuft und dass die anwesenden Studenten Teil der erbärmlichsten Generation aller Zeiten seien. Will kommt ins Schwärmen als er dann über die alten Zeiten spricht, in denen die USA seiner Meinung nach noch wirklich tolle Leistungen vollbrachten. Sein Fazit bleibt aber eindeutig: Amerika ist nicht mehr das großartigste Land der Welt.
Will McAvoys emotionale Rede gibt es übrigens hier zu sehen.
Die Analyse:
Erst einmal ein Geständnis. Ich liebe Aaron Sorkin. Kaum ein Drehbuchautor schreibt so geniale Dialogfeuerwerke. Und so verwundert es nicht, dass auch „The Newsroom“ mit einem wortgewandten Paukenschlag loslegt. Eine intensive Podiumsdiskussion bei der unsere Hauptfigur in einem emotionalen Offenbarungseid schließlich die ganze Halle für sich einnimmt. Und Klartext spricht. Oft bevorzuge ich ja ruhige Charaktereinführungen. Hier genieße ich nur zu gerne die schrille Variante.
Los geht es aber erst einmal ganz entspannt. Zumindest was unsere Hauptfigur angeht. Weil eben auch Sorkin weiß wie wichtig behutsamer Spannungsaufbau für die Glaubwürdigkeit einer Figur ist. Zuerst hält sich Will deswegen aus allem raus. Und läßt die anderen brüllen. Doch auch mit Stille kann man Charakterzeichnung betreiben. Will gibt den passiven Beobachter und bekommt Kopfschmerzen von der emotional aufgeladenen Diskussion seiner Sitznachbarn. Will wird so als vernünftig und gemäßigt etabliert. Einer, der sich (vorerst) nicht von der aufgeladenen Stimmung mitreißen läßt. Geschickt positioniert das Setting Will dann auch physisch genau zwischen seinen beiden Podiumskollegen. Was bereits schon als eine Art politische Charakterzeichnung gesehen werden darf. Links liberal, rechts konservativ. In der Mitte die Stimme der Vernunft.
Diplomatie dank Humor
Diese Stimme der Vernunft strahlt aber auch ein bisschen wissende Arroganz aus. Mit süffisantem Grinsen begleitet Will das eskalierende „Gespräch“ der Sitznachbarn. Und wird so natürlich automatisch etwas überhöht. Da bleibt dann sogar Zeit für einen Tagtraum. Die Frau, die Will dabei glaubt im Publikum zu sehen, ist seine ehemalige Freundin. Die hier etabliert wird, um später in der Szene als Trigger für Wills emotionalen Monolog zu dienen. Als Will das erste Mal direkt vom Moderator angesprochen wird, zeigt er aber noch Zurückhaltung. Und kontert dessen Nachfrage lediglich mit einer süffisanten Kurzantwort.
Ausweichende Antworten gibt es von Will nun gleich mehrmals zu hören. Die Frage eines Studenten nach seiner politischen Gesinnung beantwortet Will wieder mit Humor, in dem er sich als New York Jets Fan bezeichnet. Schlagfertig und medienerfahren – Will kommt als souveräner Interviewgast rüber. Der spürbar keine Lust hat auf den extravaganten Medienzirkus und es deswegen vermeidet extreme Positionen einzunehmen, die ihn angreifbar machen würden.
Daumenschrauben für die Hauptfigur
Will, der Diplomat. Klingt nach einer langweiligen Figur für eine Serie. Doch keine Sorge, genau aus diesem Grund packt „The Newsroom“ nun die Daumenschrauben aus. Stück für Stück wird nun erst einmal etabliert, dass auch in Will ein Vulkan schlummert. Der nur etwas Druck braucht um auszubrechen. Und genau auf diesen Ausbruch steuert die Szene nun zu. Um zu diesem Höhepunkt zu kommen nimmt man sich aber Zeit. Und vermeidet so Will ähnlich reißerisch und „emotional labil“ wirken zu lassen wie seine beiden „Kontrahenten“.
Los geht es mit kleinen Sticheleien des Moderators, von denen sich Will aber erst einmal nicht aus der Defensive locken läßt. Will nutzt stattdessen weiter Humor als Schutzschild, was aber nur solange gut geht bis die junge Jenny das Mikrofon in die Hand nimmt. „Warum sind die USA das beste Land der Welt“ fragt sie in die Runde. Wieder versucht sich Will mit einer harmlos-humorvollen Antwort zu retten: Wegen den New York Jets. Doch wieder hakt der Moderator nach und fordert eine ernste Antwort ein. Will versucht sich nun anders herauszuwinden, aber man merkt wie schwer dies ihm fällt. Er wirkt selbst nicht überzeugt, als er schließlich einfach den Antworten seiner Vorredner zustimmt. Dieser innere Kampf verstärkt natürlich die Wirkung von dem was später kommen wird. Eine Aussage, um die man sich lange aus Angst herumdrückt wirkt, wenn endlich ausgesprochen, eben einfach deutlich stärker.
Ein Vulkan vor dem Ausbruch
Erst kehrt die Szene aber wieder zu der im Tagtraum etablierten Dame zurück, die Will nun per Zettel die richtige Antwort zeigt. Nein, die USA sind nicht das beste Land der Welt. Aber sie können es werden. Die mysteriöse Frau schreibt das auf was Will nicht aussprechen möchte. Wills echte Meinung sitzt also sozusagen im Publikum. Ein netter Weg, um den inneren Kampf der Figur für den Zuschauer sichtbar zu machen. Doch noch läßt Sorkin den Vulkan nicht explodieren.
Noch ein letztes Mal versucht sich Will mit einer diplomatischen Antwort zu retten und spricht über die amerikanische Verfassung und Unabhängigkeitserklärung. Aber wieder will ihn der Moderator damit nicht durchkommen lassen und auch die imaginäre Dame auf der Tribüne macht noch einmal auf die „richtige“ Antwort aufmerksam. Geschickt wird also Will von allen Seiten in die Enge getrieben, bis er tatsächlich nun explodiert. Ein cleveres Vorgehen, da dieser Ausbruch so viel authentischer rüberkommt und wir vorher nun auch noch genug Zeit hatten, um die ruhigere Seite des Protagonisten kennenzulernen. Für das Sympathieband zum Zuschauer ein nicht zu unterschätzender Faktor. Zu abgedreht wollen wir unsere Hauptfigur ja auch nicht haben.
Zeit der Abrechnung
All der Druck zeigt nun also Wirkung. Will vollzieht eine 180 Grad Wandlung und dreht auf. Er würgt den Moderator ab, nimmt die Argumente seiner Sitznachbarn auseinander und zerstört förmlich die arme Jenny. Will macht keine Gefangenen. Und wir bekommen Aaron Sorkin „at his best“: dem Schreiben genauso cleverer wie humorvoller Wortschwälle, die im Stakkato-Tempo auf den Gegner abgefeuert werden. Wir verzeihen dabei Will sogar, dass er gleich das ganze Publikum als erbärmliche Generation bezeichnet. Eben weil wir vorher seine vernünftige Seite kennengelernt haben.
Trotzdem ist das natürlich harter Tobak, den die Hauptfigur hier abliefert. Und der war wohl auch Sorkin zu heiß und so gibt es noch einmal einen tonalen Wechsel. Will wird auf einmal melancholisch und spricht schließlich über das alte Amerika und verloren gegangene Werte. Eine Passage, die gleich mehrere Ziele verfolgt. Zum einen bekommt der Zuschauer etwas Zeit zu verschnaufen und wird wieder an die nachdenkliche und ruhige Seite von Will erinnert. Und dann ist da natürlich auch das Risiko, durch zu extreme Aussagen vor allem heimische amerikanische Zuschauer zu verlieren. Für das deutsche Publikum wirkt der melancholische Teil dagegen fast etwas zu pathetisch. Und nicht unbedingt glaubwürdig (nach Wills eigenen Definitionen dürfte die USA eigentlich früher auch nicht das beste Land der Welt gewesen sein, so wie er es behauptet). In Sachen Quote und im Hinblick auf den fremden Kulturkreis ist dieser Schritt aber durchaus nachvollziehbar.
In der Ruhe liegt die Kraft
Am Ende bleibt es aber dabei: Die USA sind für Will nicht mehr das beste Lande der Welt. Und so haben wir in dieser Szene eine ziemliche Achterbahnfahrt der Emotionen mit unserem Protagonisten durchgemacht. So etwas schweißt zusammen und weckt Interesse. Gleichzeitig verdeutlicht die Einführung aber auch, dass eine solche extrem intensive Charakterzeichnung eben auch einen gekonnten Aufbau erfordert. Man sollte das Publikum hier nicht überfahren sondern in Ruhe an die Figur heranführen. Vor allem, wenn diese so explodiert wie Will. Ansonsten kann so etwas auch schnell nach hinten losgehen. So wandelt Sorkin aber ziemlich erfolgreich den schmalen Grat aus großer Show und leisen Tönen. Und es gelingt ihm eine eindrückliche Charaktereinführung, die vielen Zuschauern sicher noch lange im Gedächtnis bleiben wird.