Dating in New York kann so grausam sein. Lässt sich aber ganz gut mit einer eigenen Zeitungskolumne verarbeiten. Will viele Schuhe, aber nur einen Mann: Carrie Bradshaw.
Sex and the City (1998 – 2004) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Darren Star
In ihrer wöchentlichen Zeitungskolumne rechnet Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) mit der für sie viel zu zynischen Dating-Kultur New Yorks ab. Muss hier doch möglich sein, einen genauso attraktiven wie reichen Typen fürs Leben zu finden. Das nötige Schreibfutter bekommt Carrie dabei nicht nur dank eigener Erfahrungen, sondern auch durch regelmäßige Treffen mit ihren drei ebenfalls sehr umtriebigen Freundinnen.
Die Einführung von Carrie Bradshaw
Carrie schildert uns zu Beginn die Geschichte der englischen Journalistin Elizabeth, die ihr vor kurzem bei einem Kaffee das Herz ausgeschüttet hat. Die attraktive Inselbewohnerin hatte sich Hals über Kopf in den reichen New Yorker Investmentbanker Tim verliebt. Der sich nach nur zwei Wochen aber einfach mal so aus dem Staub machte. Sehr zum Unverständnis unserer ehemaligen Auserwählten. Mit einer Kippe nachts vor ihrem Rechner sitzend gibt uns Carrie beim Tippen ihrer neuesten Dating-Zeitungskolumne darauf eine plausible Antwort: Der armen Engländerin hatte einfach keiner vom Ende einer Liebe in Manhattan erzählt.
Vielleicht hätte ein Blick in Carries regelmäßige Kolumne ja Elizabeth warnen können. Denn stolz holt Carrie kurz darauf, mitten auf einer umtriebigen New Yorker Straße, die Zeitung mit ihrer nun fertigen Kolumne aus einer Zeitungsbox. Und stellt dem Zuschauer ganz direkt die eine Frage, mit der sie sich regelmäßig „journalistisch“ auseinandersetzt: Wie kann es sein, dass es in New York so viele fabelhafte ledige Frauen gibt, aber nur so wenige tolle Single-Männer?
Die Analyse:
Eigentlich bekommen wir zu Beginn einer Serie ja oft erst einmal etwas über unsere Hauptfigur erzählt. „Sex and the City“ ist aber so frei, den Spieß einfach mal umzudrehen. Hier ist es die Hauptfigur, die uns eine Geschichte erzählt. Und zwar über eine ganz andere, eigentlich völlig unwichtige Person. In diesem Fall über eine englische Journalistin, deren Story wie ein Märchen beginnt und dann leider in einer emotionalen Tragödie endet. Ein etwas ungewöhnlicher Einstieg für eine Serie, der aber am Ende doch geschickt, und äußerst zielgruppengerecht, die Lebenswelt und den Charakter der wahren Hauptfigur dem Publikum näherbringt.
Zu sehen kriegen wir die Hauptfigur, wie so oft, aber erst einmal nicht. Spannungsaufbau mal wieder. Zu hören aber sehr wohl, denn Carrie liest den Beginn ihrer Geschichte vor, die sie gerade in die Tasten ihres Rechners haut. Mehr als die Worte auf dem Computerbildschirm („Once upon a time an English journalist came to New York.“) bekommt das Publikum aber nicht zu Gesicht, bevor wir dann auch schon in die Story eintauchen und auf die englische Journalistin Elizabeth treffen. Die ist gerade frisch in New York angekommen und lernt auf einer Vernissage einen charmanten Investmentbanker kennen. Wie im Märchen entwickelt sich nun eine zuckersüße romantische Liebesgeschichte, die Carrie mit genauso warmen wie blumigen Worten kommentiert. Golfen, Dinner, Sex – ach, Liebe in New York ist schon was feines.
Ein Märchen für die Oberschicht
Natürlich ist ein Zweck dieses märchenhaften Beginns uns als Zuschauer in die Irre zu führen. Denn die Romantik der Geschichte fällt am Ende der zynischen Realität des New Yorker Liebeslebens zum Opfer. Und gibt so Carrie, unserer eigentlichen Protagonistin, die Chance, über die New Yorker Männerwelt herzuziehen. Allerdings werden bereits schon davor, in dem mit Zuckerguss überfrachteten Märchenteil, ein paar entscheidende Charaktermerkmale von Carrie etabliert. Und zwar nicht einfach nur, dass die gute Carrie offensichtlich Autorin ist.
Vielsagender ist, dass hier auch Carries bevorzugtes Umfeld, und damit ein Teil ihrer Weltansicht, etabliert wird. Man achte einfach einmal darauf, wie Carrie die Protagonisten ihrer Geschichte und deren erstes Treffen beschreibt. Den schwerreichen Investmentbanker Tim bezeichnet sie als typischen New Yorker Junggeselle. Und für Carrie ist es auch „ganz typisch für New York“, dass sich die beiden Turteltäubchen auf einer hippen Vernissage treffen. Kurzer Anruf in Harlem: Nein, als Standard-Dating-Prozedur würden das jetzt so nicht alle im Big Apple unterschreiben. Das Herz von Carrie schlägt also offensichtlich nur auf der Seite der Schönen und Reichen. Und so diniert unser Liebespaar in der Geschichte im feinen Restaurant und spielt auf den Dächern von New York Golf. Alleine durch das Setting der Story, in der Carrie ja nicht einmal physisch vorkommt, können wir dank deren Erzählerrolle also bereits Rückschlüsse auf ihre Figur ziehen.
Eine Story mit Symbolkraft
Durch ihre blumige Beschreibung der Liebesgeschichte zwischen Elizabeth und Tim überhöht Carrie diese Story zur fast unerträglichen Schmonzette. Und sorgt so für die größtmögliche Fallhöhe. Denn das so gar nicht romantische Ende dieser Affäre erfolgt dadurch umso abrupter und härter. Und als die arme Elizabeth dann im Café Carrie ihr Herz ausschüttet, reagiert Carrie auf komplett abgezockte Art und Weise. Während ihr gegenüber ein Nervenbündel hockt, sieht man Carrie von hinten relaxt eine Kippe rauchen (der erste Anblick ihres Gesichts wird auch hier wieder, aus Spannungsgründen, etwas herausgezögert). Nur um gleichzeitig die Naivität der Dame gegenüber zu kommentieren: „Niemand hatte ihr vom Ende einer Liebe in Manhattan erzählt“.
Nun wird auch spätestens klar, dass „Sex and the City“ die Geschichte der englischen Journalistin nutzt, um eigentlich die Lebensgeschichte der Hauptfigur zu erzählen. Mit Elizabeth als Platzhalter für Carrie. Denn die hat offensichtlich all das schon durch gemacht, an dem Elizabeth nun verzweifelt. Carrie hat es ebenfalls mit der großen Liebe versucht, ist bisher aber gnadenlos enttäuscht worden und hat nun eine zynische Grundhaltung zu dem ganzen Thema entwickelt. Das Carrie desillusioniert ist wird dabei perfekt visuell dadurch untermauert, dass sie die Zigarette mit einer gefühlten Eiseskälte im Aschenbecher ausdrückt – während die emotional angeschlagene Elizabeth frustriert an ihrem Kaffee nippt.
Liebe auf der roten Couch
Durch diesen Aufbau wird Carrie geschickt als erfahrene New Yorker Daterin etabliert, von der Zugezogene noch eine gehörige Portion lernen können. Und genau hier greift die nächste Szene dann auch den Faden wieder auf und verstärkt genau dieses Bild von Carrie. An ihrem Schreibtisch sitzend analysiert diese nämlich nun, wie es um das Liebesleben in Manhattan wirklich bestellt ist. Und wendet sich abschließend frustriert direkt an den Zuschauer: „Verflucht, wie konnte uns das nur passieren?“
Dieser Satz ist aus zwei Gründen so vielsagend. Einmal, weil natürlich deutlich wird, dass Carrie mit dem Ist-Zustand nicht wirklich zufrieden ist und den alten Zeiten nachweint. Was noch einmal bestätigt, dass die Story von Elizabeth wirklich stellvertretend für Carries Leben und deren Sehnsucht nach der großen Liebe steht. Zum anderen aber auch, weil hier eine der direktesten Zielgruppenansprachen der Seriengeschichte erfolgt. Denn mit „uns“, das wird gleich deutlich, meint Carrie alle gutverdienenden Single-Frauen dort draußen.
Charaktereinführung mit Zielgruppenfokus
Was nun nämlich folgt ist Carries Liebeserklärung an einen sehr speziellen Typus Frau. Einer, der super gestylt ist, viel reist, gut verdient und sich den Luxus gönnt einfach mal so 400 Dollar für ein paar Schuhe auszugeben. Mit diesen Worten beschreibt Carrie, wer für sie eine tolle und fabelhafte Frau ist. Und sinniert weiter darüber, warum es so viele dieser großartigen Single-Frauen gibt, aber nur wenige Männer der gleichen Kategorie. „Sex and the City“ etabliert sich so direkt als eine Serie für hippe Glamour-Frauen und solche, die diesen Status sehnsüchtig als mögliches Ideal anstreben oder sich zumindest stark mit diesen Werten identifizieren.
Auch dieses Statement von Carrie erfolgt wiederum unmittelbar in die Kamera. Direkter geht es nicht. Da lohnt sich dann auch der Vergleich mit der Einführung eines gewissen „Francis Underwood„. Hier hatten die Macher ja ebenfalls das Stilmittel der direkten Ansprache von Hauptfigur zu Publikum genutzt. So verschieden „Sex and the City“ und „House of Cards“ auch sein mögen, in beiden Fällen erfüllt die direkte Ansprache zu Beginn einen durchaus ähnlichen Zweck. Durch die direkt Ansprache wird dem Zuschauer eine klare Message geschickt: Darum gehts in unserer Serie und nun darfst du entscheiden: Love me or hate me. Die falsche Zielgruppe wird spätestens hier direkt abschalten. Alle anderen werden aber so geschickt in emotionale Eisenketten an die Hauptfigur gebunden. Und egal auf welcher Seite man steht, vor eine Einführung, die mit solch offenen Karten spielt, darf man dann doch respektvoll den Hut ziehen.