Nach der Haftentlassung erst mal ein Waisenhaus retten – so sieht erfolgreiche Resozialisierung aus. Kurbelt durch seine Vorliebe für Verfolgungsjagden auch gleichzeitig noch die amerikanische Autoindustrie an: Jake Blues.
Blues Brothers (1980) – Die Story
Drehbuch: Dan Aykroyd, John Landis
Gerade aus der Haft entlassen erfährt Jake Blues (John Belushi), dass es nicht gut um das Waisenhaus steht, in dem er einst mit seinem Bruder Elwood aufgewachsen ist. Durch eine Steuernachzahlung droht diesem der Ruin. Glücklicherweise hat Jake eine göttliche Erleuchtung. Er und sein Bruder Elwood werden die alte Band wieder zusammentrommeln. Und das Geld durch ein großes Konzert reinholen. Ist zur Abwechslung mal eine legale Idee der beiden Brüder. Die sich bei ihrer „göttlichen Mission“ aber dann doch wieder mit dem Gesetz anlegen…
Die Einführung von Jake Blues
Flankiert von zwei Beamten wird Jake Blues durch ein Gefängnis geführt. Ein langer Marsch, vorbei an Mitgefangenen und durch jede Menge Sicherheitstüren. Es fällt kein Wort. Schließlich wird Jake zur Verwaltung gebracht, wo ein weiterer Beamter an einem Ausgabefenster Jakes alte Sachen für dessen Freilassung zusammensucht. Dass er unter diesen ein altes Kondom von Jake findet, freut ihn nicht gerade. Genauso wenig, dass Jake sehr nahe an das Ausgabefenster herantritt. Klappt trotzdem mit der „Gepäckausgabe“. Vor dem Gefängnis wartet dann auch schon Elwood auf Jake, der standesgemäß seinen Bruder mit einem alten Polizeiwagen abholt.
Die Analyse
Musik spielt eine zentrale Rolle in „Blues Brothers“. Doch davon ist bei der Einführung von Jake Blues lange nichts zu sehen. Oder zu hören. Und nicht mal einen O-Ton unseres Protagonisten gönnt man uns. Das wortkarge Intro der Figur spielt aber trotzdem ganz klassisch mit den beliebtesten Stilmitteln der Charaktereinführung. Kontrast, Aufbau von Neugier und eine Überhöhung des Protagonisten – haben wir alles schon oft gesehen. Spannend ist an der Einführung von Jake aber die Art und Weise, wie hier das Setting dafür genutzt wird, um uns etwas über die Figur und ihre Gefühlswelt zu verraten.
Am Anfang ist erst einmal Feuer drin. In den ersten Szenen fliegt die Kamera über die feuerspeienden Türme der alten Chicagoer Stahlwerke. Heruntergekommen, schmutzig und impulsiv. So die Wirkung. Aber was hat die Stahlindustrie mit unserer Figur oder dem Film zu tun? Die Antwort erschließt sich nur, wenn man die nächste Sequenz betrachtet. Auf einmal fährt die Kamera nämlich am Zaun eines Gefängnisses entlang. Das deutlich besser in Schuss zu sein scheint als die dreckigen Industrieanlagen. Gepflegter Rasen, Hundestatuen aus weißem Marmor und ein Beamter, der pflichtbewusst die amerikanische Flagge hisst. Impulsiv oder schmutzig ist hier gar nichts. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Und die Gefahr hier auf Teufel komm raus etwas reininterpretieren zu wollen auch. Machen wir aber trotzdem.
Jake Blues – Marmorstatue oder Feuerturm
Der Anfang von „Blues Brothers“ zeigt uns zwar in der ersten Minute noch nicht unseren Protagonisten Jake. Aber irgendwie führt er die Figur trotzdem schon ein. Hier im Gefängnis werden schließlich die gerade sinnbildlich als feuerspeienden Türme gezeigten wilden Auswüchse der Gesellschaft gezähmt. Zwei Welten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Ein Kontrast, mit dem der dann folgende Auftritt unseres Protagonisten schon einmal angekündigt wird. Denn dabei geht es genau um den Übergang zwischen diesen beiden Welten. Jake verläßt das/sein Gefängnis und kehrt wieder in die wilde Welt zurück. Offiziell sollte er geläutert sein. Ob das auch wirklich der Fall ist, und ob Jake jetzt eher dem braven Hund aus Marmor oder dem feuerspeienden Turm gleicht, gilt es aber jetzt noch zu klären.
So begleiten wir dann erst einmal Jake auf seinem langen Gang durch das Gefängnis. Flankiert von zwei Beamten ist er auf dem Weg in die Freiheit. Eine Sequenz, die sich eine gefühlte Ewigkeit hinzieht. Und die gleich mehrere Ziele verfolgt. Da wäre einmal die klassische Überhöhung der Figur durch das Herauszögern des ersten Face-to-Face Meetings mit dem Zuschauer. Von oben, von hinten und sogar von unten – wir bekommen Jake in allen Facetten serviert. Nur sein Gesicht, darauf müssen wir lange warten. Wie so oft bei Charaktereinführungen. Interessanter ist da aber schon die zweite Aufgabe, die diese Einführung sozusagen im Vorübergehen erledigt. Denn das wir gefühlt eine halbe Stunde, ohne ein Wort von Jake zu hören, ihm und den Beamten durch das komplette Gefängnis folgen, hat einen guten Grund.
Ein Gefängnis als Antagonist
Mal angenommen, wir hätten Jake einfach nur aus dem Gefängnis treten sehen. Und man hätte uns Zuschauern diesen ganzen Vorabspaziergang erspart. Was würden wir vermissen? Eine ganz entscheidende Sache. Nämlich das Gefühl dafür, was diese Figur in den letzten Jahren durchgemacht hat. Wie Jake monoton und gelangweilt durch das Gefängnis latscht, das ist nichts anderes als ein Sinnbild für die Zeit, die er abgesessen hat. Es gibt eine Totale, die den Alltag im Gefängnis sehr gut visuell zusammenfasst. Sie zeigt nicht nur Jake, der im Stechschritt laufend über das Gelände eskortiert wird. Sondern auch noch perfekt angelegte Blumenbeete, in Formation laufende weitere Insassen und ein Grundstücksfläche, die feinsäuberlich in ordentliche Rechtecke unterteilt ist. Die pure Langweile. Die totale Ordnung.
Das Gefängnis zeigt so seinen ganz eigenen Charakter. Eine Art Antagonist, den man hier zu unserem Protagonisten etabliert. Und genau dadurch kommuniziert man, ohne große Worte, einen wichtigen Teil der Backstory von Jake. So sahen sie also aus, die letzten Jahre unseres Blues Bruders. Monotonie kann also durchaus ein Stilmittel sein. Genauso monoton geht es dann auch weiter. Unser Tross kommt am Ausgabefenster an, um Jakes Sachen abzuholen. Der Beamte hinter dem Schalter wirkt genauso dröge wie seine Umgebung. Das Aufeinandertreffen von Jake und seinen Begleitern auf diesen Beamten wird aber auch genutzt, um der Hintergrundgeschichte von Jake noch etwas mehr Fleisch zu verpassen. Und, noch wichtiger: wir bekommen nun auch erste Hinweise darauf, wie erfolgreich die Resozialisierung von Jake tatsächlich gelaufen ist.
Gute Führung, guter Charakter
Es stellt sich ja immer die Frage nach dem Sympathiefaktor einer Figur. Gerade in einer Komödie. Das, und die Frage, wie rebellisch unser Knastbruder heute noch ist, beantwortet die Sequenz am Ausgabefenster. Die beiden Begleiter von Jake verlesen als Erstes einmal ein paar Eckdaten. So erfährt man, dass Jake im Maximum-Hochsicherheitstrakt untergebracht war. Und das er seine fünfjährige Gefängnisstrafe nun schon nach drei Jahren abgesessen hat. Dank guter Führung. Ein relativ cleveres Konstrukt, da man Jake zwar als bösen Buben etabliert (Hochsicherheitstrakt), der aber ja dann doch so schlimm nicht sein kann (schon nach 3 Jahren raus dank guter Führung).
Aufgelockert wird das Ganze dann auch noch mit einer Prise Humor. Das ausgerechnet der dröge Beamte aus Jakes Sachen erst ein unbenutztes und dann ein benutztes Kondom zieht, ist aber mehr als nur ein kleiner Gag, der die Stimmung hebt. Die angeekelte Reaktion gibt auch noch einmal einen kleinen Hinweis auf die Unterschiede zwischen den Figuren auf den beiden Seiten des Ausgabefensters. Langweiliger Beamter auf der einen, Lebemann auf der anderen Seite. Und dank des Humors entwickelt man durchaus eine gewisse Sympathie für Jake. Schließlich war man ja auch als Zuschauer von diesem monotonen Gang durch das Gefängnis „gelangweilt“. Es steht aber noch eine Frage im Raum: Wie geläutert ist denn Jake?
Das Überschreiten der Linie
Das in unserer Hauptfigur auch immer noch ein Rebell steckt, erfahren wir dank dessen Reaktion auf eine große gelbe Linie vor dem Ausgabefenster, die Jake eigentlich nicht überschreiten darf. Tut er trotzdem. Soviel zu seiner Haltung gegenüber Autoritäten. Unterstrichen dadurch, dass der Beamter hinter dem Schalter auch noch dadurch genervt wird, dass Jake ungeduldig mit seinen Fingern auf die Ablage klopft. Und schwups wird der Junge wieder an seine richtige Position hinter der Linie gezogen.
Es ist ein ganz simples Statusspiel, welches hier stattfindet. Der noch Gefangene fordert die Staatsgewalt. Natürlich in einem sehr kleinen aber dafür schön symbolischen Rahmen. Noch symbolischer ist dann aber die Art und Weise, wie Jake den Empfang seiner Sachen quittiert. Um die heilige Linie nicht zu überschreiten lehnt er sich für seine Unterschrift geradezu theatralisch nach vorne. Und zieht damit die Vorgaben des Staates ins Lächerliche. Dem Zuschauer wird spätestens jetzt klar: Jake wird wohl noch das ein oder andere Mal mit Autoritäten in Konflikt kommen.
In göttlicher Mission
Mit diesem Versprechen schreitet Jake dann also aus dem Gefängnis. Und wie das visuell dargestellt ist, trieft nun wirklich nur so vor Symbolik. In göttliches Licht getaucht, besser gesagt tausenden von Kilowatt des Oberbeleuchters, verläßt er die Anstalt. Eine natürlich extreme Visualisierung der berühmten göttlichen Mission, die Jake und sein Bruder später in Angriff nehmen werden. Vor dem Tor wartet dann auch schon Elwood und beide fallen sich zum Abschluss von Jakes Einführung im grellen „Gotteslicht“ in die Arme. Der Moment, in dem wir zum ersten Mal überhaupt Jakes Gesicht sehen. Das den Zuschauer direkt in die Augen blickt. Et voilà, da ist unser Protagonist.
So arbeitet die Einführung von Jake konsequent auf diesen Abschluss zu. Wir erfahren zwar kaum richtige Fakten über die Figur, aber kriegen einen ersten Eindruck wie diese tickt. Und das ist in diesem Fall wichtiger, als zum Beispiel der genaue Grund, warum Jake jetzt im Gefängnis war. Gepaart mit dem Teaser für dessen göttliche Mission und etwas Humor wird so ein ganz ordentliche Grundstein für die Story gelegt. Und jetzt ab mit dir ins Auto Jake, Zeit für jede Menge Blues und noch mehr Chaos.