Was guckt der denn so komisch? Versucht vermutlich gerade mit eindringlichem Blick den Gegenüber eines Verbrechens zu überführen: Dr. Cal Lightman.
Lie to me (2009-2011) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Samuel Baum
Auch wer nichts sagt, hat doch genug zu erzählen. Zumindest, wenn man Dr. Cal Lightman (Tim Roth) glauben möchte, der anhand von Mikroexpressionen Lügner enttarnen kann. Kein schlechtes Talent. Und so bieten Cal und sein gut ausgebildetes Team ihre Dienste vor allem zahlreichen Strafverfolgungsbehörden an. Schließlich läßt sich so ordentlich Geld verdienen. Sehen wir da ein kleines Lächeln, Mr. Lightman?
Die Einführung von Dr. Cal Lightman
Mit fokussiertem Blick nimmt Dr. Cal Lightman einen vor ihm sitzenden Verdächtigen unter die Lupe. Das dessen Anwalt seinen Mandanten daran erinnert, bloß keine Auskunft zu geben, motiviert Lightman noch zusätzlich. Kleinste Körperbewegungen des Mannes als Reaktionen auf gezielte Fragen verraten Cal schließlich, wo sein Gegenüber eine tödliche Bombe platziert hat. Diese Erfolgsgeschichte muss geteilt werden. Tut Cal dann auch gleich in der nächsten Szene.
Die Einführung von Dr. Cal Lightman
Hier sieht man Cal nun vor einem interessierten Publikum einen Vortrag zu genau diesem Fall halten – bei dem er Punkt für Punkt seine Entschlüsselung der sogenannten Mikroexpressionen des Verdächtigen erläutert. Auf die Zwischenfrage, ob Leute Emotionen, wie zum Beispiel Überraschung, nicht einfach faken können, reagiert Cal mit einem anschaulichen Praxisbeispiel. Er wirft eine Tasse gegen eine Wand. Und verdeutlicht so dem verdutzten Fragesteller, wie echte Überraschung aussieht. Schließlich präsentiert Lightman noch Gesichter bekannter Persönlichkeiten auf der Vortragsleinwand, die alle die gleiche Mimik an den Tag legen. Das muss nun aber wirklich in Sachen Überzeugungsarbeit reichen.
Die Analyse:
Auch wenn wir ja alle so unsere kleinen Heldentaten im Alltag erledigen, wissen Drehbuchautoren natürlich ganz genau, dass es meist mehr braucht, um das breite Publikum für eine Story zu begeistern. Protagonisten, die Außergewöhnliches leisten werden dabei besonders gerne gesehen und genau das kann dann auch die Hauptfigur von „Lie to Me“ bieten. Dr. Cal Lightman hat die Gabe Lügen nur anhand von Mimik und Gesten zu erkennen. In ihrer Einführung der Figur fokussiert sich die Serie nun vor allem darauf dieses Talent möglichst eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.
Dazu teilt man die Einführung von Cal in zwei Abschnitte ein, die flüssig ineinander übergehen. Zuerst liefert uns Cal ein anschauliches Praxisbeispiel aus dem Alltag der Polizeiarbeit, bevor er dann in einer Präsentation uns noch einmal an die Hand nimmt und seine Gabe ausführlicher beleuchtet. Die Botschaft der Macher: Dieses Talent ist so faszinierend, dass das Publikum unbedingt am Ball bleiben sollte.
Eine Figur zeigt Haltung
Angesichts der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne des Publikums stürzt man sich gerade im Serienbereich in der ersten Folge gerne möglichst schnell in die Action. So auch hier, wo Cal direkt mit dem Verhör eines Verdächtigen loslegt. Man beginnt also direkt mit dem zentralen Konzept der Serie, damit der Zuschauer auch gleich weiß woran er ist. Dabei wird der Fokus beim Verhör vor allem auf die besonderen Fähigkeiten von Cal gelegt. Dessen Sinn fürs Detail wird durch die Kombination von Blicken und Nahaufnahmen transportiert, die Cal um ein paar messerscharfe Analysen ergänzt. Ich weiß, den Vergleich mit Sherlock Holmes ziehe ich hier sehr oft im Blog, aber es ist kaum vorstellbar, dass dieser Name nicht bei den Vorbereitungen des Drehbuches im berüchtigten Writers Room fiel.
Die beeindruckende Kombinationsgabe wird nämlich auch noch um eine gewisse Coolness und Arroganz der Hauptfigur ergänzt. Die Abgezocktheit von Cal wird nicht nur durch ein paar lockere Sprüche von ihm ausgedrückt, es reicht dazu sich einfach die unterschiedlichen Haltungen der Figuren mal anzuschauen. Während der Verdächtige angespannt und nervös auf dem Stuhl sitzt, hat Cal entspannt und lächelnd die Beine übereinandergeschlagen. Alleine die Art und Weise auf einem Stuhl zu sitzen kann eben schon ein Mittel für die Charakterzeichnung sein.
Große Klappe, viel dahinter
Nun ist es aber auch wichtig, dass ein Drehbuch es der Figur natürlich nicht zu leicht macht. Wenn das Ganze ein Kinderspiel wäre könnte das Publikum dies ja nicht würdigen. Das die Leistung von Cal in dem Verhör besonderen Applaus verdient wird durch zwei nette kleine Nebensätze geschickt untermauert. So weist der Anwalt des Verdächtigen darauf hin, dass sein Mandant nicht sprechen soll – eine Hürde, welche die Aufgabe für Cal natürlich schwieriger macht. Zusätzlich springt die Kamera auch noch auf die andere Seite des Fensters und lauscht den Worten eines FBI-Agenten, der gegenüber seinen Kollegen anmerkt, dass man ja in vier Stunden nichts aus dem Typ herausbekommen hätte. Und das dieses Verhör ja eigentlich sinnlos sei.
All das hebt die Leistung von Cal noch einmal auf eine höhere Stufe. Und das ist wichtig, denn man präsentiert uns hier eine sehr selbstbewusste Figur, und so etwas kann beim Publikum schnell in Antipathie umschlagen, wenn dazu nicht die passende Leistung geboten wird. So aber lassen sich die markigen Sprüche von Cal, der unter anderem auch die falschen Schlussfolgerungen des FBI mit einem arroganten Lächeln quittiert, ohne Probleme ertragen und kosten keine Sympathiepunkte – schließlich ist er ja tatsächlich ein Genie auf seinem Gebiet und hat sich das verdient.
Der Intellektuelle im Porzellanladen
Das Praxisbeispiel zu Beginn reicht der Serie aber noch nicht um ihre zentrale Botschaft zu vermitteln. Sie packt noch eine weitere Validierung der Leistung unseres Helden hintendran, in dem sie ihn nun vor großem Publikum diesen Fall noch einmal Revue passieren läßt. Wer auf das Publikum achtet wird sehen, dass dieses immer wieder bestätigend nickt und fasziniert auf die Ausführungen von Cal reagiert. Die Botschaft der Macher dahinter ist klar: so viele Leute können unmöglich irren – Cal muss eine Ikone sein.
Diese weitere Überhöhung der Hauptfigur ist schon fast ein wenig dick aufgetragen. Zugegeben, man zieht diese Linie aber schon sehr konsequent durch und steigert das sogar noch weiter. Kritisches Nachfragen aus dem Publikum kann Cal natürlich auch ohne Probleme eindrucksvoll kontern. Wobei die Serie ihn hier ein wenig über die Stränge schlagen läßt und Cal auch als etwas merkwürdigen Burschen portraitiert. So erwähnt jemand im Publikum, dass Cal für lange Zeit sogar im Dschungel seinem Hobby nachging und das Thema Überraschungseffekt verdeutlicht Cal durch die spontane Zerstörung einer Tasse. So bekommt die Figur zumindest noch ein paar kleinere Ecken und Kanten verliehen, um die Figur in ein noch faszinierenderes Licht zu rücken. Der Fokus liegt aber vor allem auf ihrer beruflichen Qualifikation.
Entspannung durch Dick Cheney
So setzt die Einführung am Ende dann sogar noch mal einen obendrauf und läßt Cal zahlreiche prominente Beispiele auflisten, welche die Aussagekraft seiner Fähigkeit noch einmal unterstreichen. Ja, die Botschaft sollte nun definitiv angekommen sein. Um dem Ganzen doch noch eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen baut man aber immerhin noch etwas Humor ein – und so darf am Ende der ehemalige US-Politiker Dick Cheney für einen kleinen Gag herhalten.
Die Einführung von Cal ist am Ende ein Beispiel für eine extrem fokussierte Charaktereinführung, der es weniger darum geht möglichst viele unterschiedliche Facetten aufzuzeigen, sondern vor allem darum eine zentrale Message möglichst eindrucksvoll zu vermitteln. Man hat ja auch noch durchaus ein paar Folgen Zeit, der Figur noch weitere interessante Farbkleckser hinzuzufügen. Arbeit ist ja schließlich nicht alles im Leben…