Warum gut drauf sein, wenn das Leben sowieso prinzipiell scheiße ist. Beglückt andere mit seiner zynischen Weltansicht und sich selbst mit jeder Menge Kippen und Alkohol: Rust Cohle.
True Detective (seit 2014) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Nic Pizzolatto
Louisiana 1995. Die Polizisten Martin Hart (Woody Harrelson) und Rust Cohle (Matthew McConaughey) werden mit den Ermittlungen in einem Mordfall betraut. Eine ehemalige Prostituierte wurde auf brutale Art und Weise geradezu hingerichtet. Martin und Rust machen sich auf die Suche nach dem Killer und treffen dabei auch auf ihre ganz eigenen Dämonen.
Die Einführung von Rust Cohle
Der Polizist Martin Hart wird im Jahre 2012 über seinen ehemaligen Kollegen Rust Cohle befragt. Ziemlich dünnheutiger Junger, so der Eindruck von Martin, als Rust ihm damals als neuer Partner präsentiert wurde. Dauerte auch mehr als drei Monate, bis Rust die Einladung zum Essen mit Harts Familie annahm. Wirklich ein seltsamer Typ, bestätigt Martin seinen Fragenstellern, die nicht im Bild zu sehen sind. Unterschnitten von Aufnahmen von Rust, wie dieser abends rauchend im Auto sitzt und anschließend mit einem Strauß Blumen den Garten der Harts betritt.
Hart spricht weiter. Bei diesem Abendessen hat Rust ja so gar keinen gesunden Eindruck gemacht. Es war gerade die Zeit, als der mysteriöse Mordfall rund um Dora Lange in vollem Gange war. Auf einmal setzt die Stimme von Rust ein. Nun sehen wir ihn bei einer Befragung. Alleine. Ja, er kann sich an den Fall Dora Lange erinnern. Rust will sich eine Kippe anzünden. Seine Befrager bitten ihn das doch zu unterlassen. Rust schüttelt den Kopf. Wer seine Story hören will, der muss ihn auch rauchen lassen. Also wird die Zigarette angezündet und Rust beginnt vom 3. Januar 1995 zu erzählen. Dem Tag, an dem alles begann…
Die Analyse:
Manchmal kann sich eine Figur gegen die eigene Einführung einfach nicht wehren. Wir hatten hier im Blog ja schon ein paar Fälle, bei denen Protagonisten vor ihrem ersten physischen Auftritt durch andere Beteiligte angeteasert wurden. Das hebt die Spannung und steigert die Neugier des Publikums. Meistens reichten dort schon ein paar kleine Nebensätze über die Figur. Damit gibt sich „True Detective“ bei der Einführung von Rust Cohle aber lange nicht zufrieden. Hier wird diese indirekte Einführung geradezu zelebriert.
Es ist dabei spannend zu sehen, wie die erste Folge von „True Detective“ gleich auf mehreren Ebenen die Figur des Rust Cohle überhöht, ohne dass diese überhaupt anwesend ist. Erreicht wird dies über eine Befragung seines ehemaligen Kollegen Martin Hart durch zwei Polizisten. „Was haben sie gedacht, als er ihr Partner wurde?“ lautet der erste Satz. Alleine die Tatsache, dass der Name von Rust hier nicht fällt und das Publikum sich mit „er“ zufrieden geben muss, steigert die Neugier beim Zuschauer. Wer hier mit „er“ wohl gemeint ist?
Der Mann aus Texas
Diese Neugier des Publikums wird nun in der Befragung von Martin Hart Stück für Stück weiter angefüttert. Auf der einen Seite durch die Äußerungen von Martin, der gleich mehrmals zu verstehen gibt, was für ein seltsamer Zeitgenosse sein ehemaliger Partner war. Hart schwadroniert darüber, dass man sich seinen Partner ja nicht aussuchen kann, dieser ihm dünnheutig vorkam und es mit dessen sozialer Ader (erst nach drei Monaten hat er die Einladung zum Abendessen angenommen) auch nicht sehr weit her war. Dazu erwähnt er, dass dessen Spitzname lange der „Texman“ war, weil niemand Rust wirklich kannte und die einzige Info, die man über ihn hatte, eben die war, dass dieser aus Texas kam.
Auf der anderen Seite gibt es dann auch noch unsere beiden fragenden Cops, die sich aktiv nach der Geschichte von Rust erkunden. Selbst als Martin kurz einen mysteriösen Mordfall anspricht und anmerkt, dass dieser ja der eigentliche Grund für seine Befragung sei, wechseln die beiden Fragesteller das Thema nicht. Ja, der Fall ist der eigentlich Grund, aber sie wollen lieber erst einmal mehr über Cohle hören. Ein Mann, der spannender als ein großer Kriminalfall ist – da werden wir als Publikum geschickt angefixt.
Boxkampf mit dem Himmel
Auch unsere beiden Fragesteller merken an, dass sie bereits viele Geschichten über Rust gehört haben und dieser ja wohl irgendwie ein seltsamer Vogel sei. Was Martin mit einem Grinsen bestätigt. Und so wird durch diese vorweggenommene Charakterdiskussion Stück für Stück das Interesse des Zuschauers an dieser nicht anwesenden ominösen Figur gesteigert. Seltsame Vögel, genau dafür schauen wir Serien ja an. Einen Vogel, den wir dann endlich auch einmal physisch präsentiert bekommen. Allerdings, wie wir es im Blog oft gewohnt sind, zum Zwecke der Mystifizierung nur von hinten und ohne einen richtigen Blick auf das Gesicht zu erhaschen. Cohle raucht im dunklen Auto. Und bekommt von Hart dabei via Voice-Over die nächste neugierig machende Charakterbeschreibung verpasst: „He would pick a fight with the sky if he didn’t like its shade of blue“.
Konfliktscheu klingt das also nicht gerade und so ergibt sich so langsam ein erstes deutlicheres Bild des Zuschauers von der Figur. Die als nächstes noch eine weitere Dimension verliehen bekommt: einen Hauch von Tragik. Hart beschreibt nämlich nun wie fertig Cohle beim gemeinsamen Abendessen war. Dazu sehen wir wieder nur Umrisse dieser immer rätselhafter werdenden Figur, wie sie mit einem Blumenstrauß des Nachts auf die Haustüre der Harts zuläuft. Und genau auf diesem Höhepunkt zieht „True Detective“ den Stecker dieser „indirekten“ Charaktereinführung.
Ein Zustand sagt mehr als tausend Worte
Auf einmal sitzt Rust Cohle nämlich vor uns. Im Gegensatz zu den Aufnahmen von ihm davor, die in der Vergangenheit spielten, sehen wir ihn nun in seinem aktuellen Zustand. Ziemlich verlottert und fertig, so der optische Eindruck. Ein Zustand sagt eben mehr als tausend Worte. Der von Cohle, der nun ebenfalls von den beiden Cops befragt wird, ist dabei definitiv kein guter. Was ist aber das Ziel dieses abrupten Charakterstimmungswechsels? Gerade wurde Rust noch mühevoll mystisch überhöht und nun sehen wir hier diesen heruntergekommenen Ex-Cop im hellen Bürolicht?
Die Antwort: Die Serie möchte auch hier wieder Neugier generieren. Aber eine andere Art der Neugier. Die Frage, die sich nämlich beim Anblick dieser Figur unmittelbar beim Publikum stellt ist diese: Was zum Teufel hat diesen Menschen im Leben so gezeichnet? Schließlich war er ja einmal ein Cop, sieht aber nun aus wie ein Penner. Da muss doch etwas heftiges passiert sein?
Das Kämpferherz schlägt noch
So ist das Schicksal unseres Protagonisten hier auch ein bisschen Mittel zum Zweck, um Lust auf die Story und den Kriminalfall dahinter zu wecken. Gleichzeitig wird der Charakter, wie er zu Beginn beschrieben wurde, auch nicht einfach fallengelassen. Das Cohle nicht konfliktscheu ist und es mit jedem Gegner aufnehmen würde wird dadurch unterstrichen, dass sich Rust das Anzünden seiner Zigarette nicht von den Cops verbieten läßt. In dem Moment zeigt sich auch die angesprochene Gereiztheit, als Cohle auf das ausgesprochene Kippenverbot ziemlich unwirsch entgegnet, die Jungs sollten doch bitte keine Arschlöcher sein.
Was folgt ist dann die Überleitung zum eigentlichen Kriminalfall, die noch mit ein wenig Charakterexposition unterfüttert wird. So erwähnt Cohle, dass er damals gerade erst frisch für ein paar Monate im Job war. Noch interessanter ist aber, dass er bei der Überleitung auch noch kurz erwähnt, dass der Beginn des Falls mit dem Geburtstag seiner Tochter korrelierte. Das ist mehr als nur ein kleiner Infobrocken. Es etabliert nicht nur ein wichtiges Charakterdetail, was später noch von essentieller Bedeutung ist (je früher man so etwas sät, desto eleganter). Zusätzlich läßt es die Figur auch noch etwas menschlicher wirken. Der Mann erinnert sich an den Geburtstag seiner Tochter – ein bisschen Menschlichkeit ist trotz der kaputten Fassade also auch noch da. Für ein emotionales Band zum Publikum ein wichtiger kleiner emotionaler Haken. So macht die Figur des Rust Cohle eine ziemlich faszinierende kleine Metamorphose in dieser Einleitung durch, die am Ende erfolgreich zwei für eine Kriminalserie sehr wichtige Ziele erreicht: Neugier auf die Figur und Neugier auf den Fall zu wecken. Darauf erst mal eine Kippe…