Es gibt Leute, mit denen sollte man sich einfach nicht anlegen. Nun wirklich ganz vorne auf dieser Liste: traumatisierte Ex-Elite-Soldaten. Verwandelt eine Kleinstadt in ein Schlachtfeld: John Rambo.
Rambo (1982) – Die Story
Drehbuch: Michael Kozoll, William Sackheim, Sylvester Stallone
Der Vietnamkriegsveteran John Rambo (Sylvester Stallone) ist ein Mann weniger Worte. Und noch weniger Freunde. Liegt vielleicht auch ein bisschen an Rambos grumeliger Ausstrahlung. Die kommt dem Sheriff einer Kleinstadt, die Rambo besucht, auch gleich viel zu verdächtig vor. Vorsichtshalber steckt man den armen Jungen also mal lieber direkt in die Arrestzelle. Ein bisschen Psycho-Spielchen und körperliche Misshandlung gibt es von den Beamten auch noch gratis obendrauf. Aber wer Wind sät, wird…
Die Einführung von John Rambo
Eine kleine Siedlung an einem idyllischen See. Ex-Vietnamkämpfer John Rambo sucht hier, voller Vorfreude, nach einem alten Kriegskameraden. Erfährt aber leider, dass dieser vor kurzem an Krebs gestorben ist. Geknickt wandert Rambo daraufhin ziellos umher, bis er in die Kleinstadt Hope kommt. Dem dortigen Sheriff Will Teasle kommt dieser „Vagabund“ aber gleich verdächtig vor.
Teasle eskortiert Rambo mit seinem Wagen auf die andere Seite der Stadt. Und läßt deutlich verstehen, dass er herumstrolchende Ex-Soldaten nicht in seinem Ort haben möchte. Kaum aus dem Auto gestiegen kehrt Rambo aber wieder in Richtung Hope um. Findet Teasle gar nicht witzig und stellt Rambo zur Rede. Da dieser nicht gehorchen will verhaftet ihn der Sheriff umgehend. Und fühlt sich erst recht bestätigt, als er bei Rambo auch noch ein riesiges Buschmesser entdeckt.
Die Analyse
Das mit der ersten Szene nehme ich ja bei meinen Analysen von Charaktereinführungen nicht immer so genau. So auch hier, denn bei der Einführung von John Rambo ist auch die zweite Szene interessant, da man die Hauptfigur hier gleich direkt auf den Antagonisten treffen läßt. Ein Moment, der aus dramaturgischen Gründen sonst meist eher etwas herausgezögert wird – siehe zum Beispiel die Bondfilme. Hier wird diese Konfrontation aber geschickt genutzt, um das „Potential“ unserer Hauptfigur offenzulegen.
„Rambo“ legt dabei in Sachen Charaktereinführung die gleiche Effizienz an den Tag wie seine Figur später bei der „Jagd“. Und der Film ist ein schönes Beispiel dafür, wie man sehr schnell in eine Geschichte einsteigen kann und parallel dazu eine Figur etabliert. Dabei wird die Einführung in zwei Teile gepackt, die man banal gesagt so beschreiben kann: Happy Rambo, sad Rambo.
Am goldenen See
Den glücklichen Rambo bekommt man zu Beginn. Hier ist nun wirklich alles auf gute Laune getrimmt. Wetter, Location, Musik – der Zuschauer soll den inneren Frieden von Rambo spüren können. John Rambo läuft, an einem traumhaften Herbsttag, locker lächelnd zu einem idyllisch gelegenen See. Und um das schöne Setting noch perfekter erscheinen zu lassen, spielen vor der dortigen Siedlung dann auch noch fröhlich ein paar Kinder. Es ist der klassische Filmbeginn, bei dem für die Hauptfigur die Welt noch in Ordnung ist. Und genau diese Ordnung wird ab jetzt Stück für Stück aus den Angeln gehoben.
Es sind wirklich nur wenige Sekunden des inneren Friedens, die unserer Hauptfigur in „Rambo“ gegönnt werden. Aber es sind wichtige Sekunden, denn sie etablieren eine gewisse Fallhöhe der Figur. Sicher, viele Filme lassen sich deutlich mehr Zeit zu Beginn mit der Etablierung der „guten Alltagswelt“. Aber bei „Rambo“ funktioniert das trotzdem in der Kürze, weil man die Figur dann erst langsam und Stück für Stück destabilisiert. Kaum ist „Rambo“ an der Siedlung unten angekommen, beginnt der Film aber schon ihm einen Nadelstich nach dem anderen zu setzen.
John Rambo – Unschuldiger Außenseiter
Das beginnt noch harmlos. Als sich Rambo bei einer der Bewohnerinnen nach seinem Freund und Ex-Soldatenkollegen erkundigt, mustert diese ihn erst mal etwas abschätzig und schickt direkt ihr Kind ins Haus. Das Rambo von anderen Menschen als nicht gerade vertrauenserweckender Außenseiter gesehen wird, zieht sich durch den ganzen Film. In dieser Szene steckt Rambo das Verhalten der Frau erst mal noch mit einem Lächeln weg – es scheint ihm nichts auszumachen. Noch. Denn genau dieses Spiel treibt der Film nun immer weiter.
Mit jedem weiteren Nadelstich wird es schwieriger für Rambo, ruhig zu bleiben. Er versucht aber irgendwie diese wegzustecken und genau dadurch bindet man die Figur ziemlich eng an den Zuschauer, weil der sozusagen hautnah mitleidet. Und sich mit diesem Außenseiter, der offensichtlich keine Schuld an dem hat, was ihm da zu Beginn alles passiert, identifiziert und sympathisiert. Ein Verständnis, das gerade bei solch einer Figur, die später ja komplett explodieren wird, natürlich ungemein wichtig ist.
Ein Foto mit Symbolkraft
Zu Beginn ist Rambo aber noch in Plauderlaune (soviel wie in der Einführung redet er später im kompletten Film nicht mehr). Bekommt dann aber schon sehr schnell den ersten großen Nadelstich versetzt, als er nämlich vom Tod seines Kumpels erfährt. Während in dieser Szene natürlich auch ein bisschen Backstory über unsere Hauptfigur platziert wird (Vietnamveteran), wird die ganze Tragik dieses Moments aber am Besten durch ein Foto symbolisiert. Es ist ein Foto von Rambo und seiner alten Einheit, das unser Protagonist stolz der Frau am See zeigt. Die Nachricht des schmerzvollen Krebstodes seine Freundes trifft ihn dann aber so hart, dass er, nach kurzem innehalten, das Foto resignierend der Frau schenkt. Es ist ein symbolischer Moment. Rambo verliert mit dem Foto seine Freunde und damit den letzten Halt, den er noch zu dieser Welt hatte. Dieser Mann hat ab jetzt nichts mehr zu verlieren.
Durch diesen Schlag ist Rambo zu einer tickenden Zeitbombe geworden. Und genau in diesem Zustand läßt man ihn nun auf den Antagonisten treffen, was wiederum zum Auslöser der Hauptgeschichte wird. Den leeren Gefühlszustand der Hauptfigur drückt man dabei sinnbildlich auch gleich mal mit einem Settingwechsel zur nächsten Szene aus. Der sonnige See weicht einer schattigen Schnellstrasse, über die stinkende Autos fahren. Genauso grau wie Rambos Stimmung ist auch die Natur im Hintergrund. So wird alleine über das Setting bereits der wechselnde Gemütszustand unserer Figur ausgedrückt. Dass Rambo dann ausgerechnet in ein Örtchen namens „Hope“ einmarschiert, ist natürlich blanker Hohn.
Daumenschrauben für die Seele
Bevor Rambo allerdings auf unseren Antagonisten, Sheriff Teasle trifft, wird dieser dem Zuschauer noch kurz in einer Zwischensequenz vorgestellt. In der man sehr clever einen Gegenpol zu Rambo aufbaut. Denn in der kurzen Szene macht Teasle eigentlich nichts anderes, als seinen Tag zu beginnen und die halbe Stadt zu begrüßen. Und genau hier liegt der Hund begraben. Teasle grüßt gleich mehrere Leute, er scheint bekannt und beliebt zu sein. Er hat ein funktionierendes Umfeld. Und steht damit im kompletten Gegensatz zum einsamen Rambo. Auch über einen solchen Kontrast kann man seine Hauptfigur noch stärker abheben und definieren.
Gut gelaunter und beliebter Kleinstadtsheriff trifft auf geknickten Einzelgänger. Diese Ausgangslage nutzt der Film nun geschickt, um durch dieses Konfliktpotential Rambos angeknocktem Gemütszustand Daumenschrauben anzulegen. Auch hier ist spannend zu sehen, wie das Gespräch zwischen Teasle und Rambo Stück für Stück immer weiter eskaliert. Wobei der Zuschauer in Sachen Sympathie geschickt auf der Seite von Rambo gehalten wird. Das ist man natürlich erst mal durch die traurige Vorgeschichte. Und natürlich auch dadurch, dass es der Sheriff ist, der die Konfrontation startet. Teasle stoppt Rambo und ruft ihn zu sich ins Auto. Rambo dagegen will eigentlich nur seine Ruhe haben. Wird aber im wesentlichen dazu gezwungen einzusteigen.
Ein Gespräch, zwei Meinungen
Der fatale Weg dorthin beginnt im Gespräch im Auto. Es ist ein Gespräch, in dem beide Figuren komplett aneinander vorbeireden und die Aussagen des anderen geflissentlich ignorieren. Erst antwortet Rambo Teasle, dass er nach Norden möchte, nur um wenig später anzugeben, nach Portland zu wollen, was südlich der Stadt liegt. Von Teasle mit dem Fehler konfrontiert, ignoriert Rambo dessen Feststellung einfach und erklärt einen Ort zum Essen zu suchen. Jetzt revanchiert sich Teasle mit einer offensichtlichen Falschantwort, da er angibt, dass das nächste Restaurant erst außerhalb der Stadtgrenze liegt.
Und jetzt folgt ein entscheidender Moment. Bisher wollte Rambo nur in Ruhe gelassen werden, aber jetzt wird er aktiv und wehrt sich. Er konfrontiert Teasle mit dessen unverschämter Antwort. Der dann ebenfalls nun direkt wird, und das ausspricht, was sowieso schon in der Luft lag. Ja, ich möchte nicht, dass du hier in der Stadt bist. Rambo hakt aber weiter nach, wieso er hier so unfair behandelt wird. Stück für Stück weicht die passive Haltung der Figur. Wir sind noch weit weg von der Explosion, aber es wird jetzt schon deutlich, dass Rambo sich nicht alles bieten läßt.
Feuer unter dem Vulkan
Sheriff Teasle aber auch nicht und so folgt dessen längerer Monolog, in dem er erklärt, warum er Leute wie Rambo nicht in der Stadt haben möchte. Schließlich wirft er Rambo an der Stadtgrenze raus und überläßt ihn, nach einem Witz über dessen Frisur, seinem Schicksal. Das Ergebnis der nadelstichreichen Autofahrt: Rambo steht grübelnd an einer Kreuzung und muss sich entscheiden. Folgt er Teasles Anweisungen? Oder widersetzt er sich und kehrt in die Stadt zurück? Ein klassischer Moment der Heldenreise. Unser Protagonist muss sich entscheiden: Konflikt suchen oder klein beigeben. Das unsere Figur zögert verstärkt nur noch die Bedeutsamkeit dieser Entscheidung. Wie die Antwort aber ausfallen wird wissen wir alle. Und auf geht es zur nächsten Eskalationsstufe.
Und so wird eifrig weiter befeuert unter dem eigentlich erloschen schienen Vulkan. Wie stark John allerdings jetzt schon gereizt ist, läßt sich sehr schön an einer kleinen Geste ablesen. Rambo ballt nämlich seine Faust, als er auf seinem Rückweg direkt wieder von Teasle aufgehalten wird. Die nächsten Minute zeigt nun deutlich: Unser „Vulkan“ kann sich zwar zusammenzureißen, aber seine wahre Natur nicht verbergen.
Die Stunde des Jägers
Als Teasle Rambo stoppen will reißt dieser sich los. Bleibt dann aber wieder ruhig. Der Kopf siegt noch über den Instinkt. Aber die Vernunft hat es immer schwerer. Als Teasle ihn verhaftet reagiert Rambo erst mal gar nicht auf dessen Anweisungen. Und er sieht, im wahrsten Sinne des Wortes, langsam rot. Denn es ist kein Zufall, dass das rote Licht der Polizeisirene immer wieder über Rambos Gesicht huscht. Auch als Rambo noch einmal von Teasle angefasst wird, zuckt er erst einmal zusammen und muss sich spürbar immer mehr zusammenreißen.
All das funktioniert wie ein großer Teaser für den Rest des Filmes und dessen Figurenentwicklung. Die Botschaft ist klar: Dieser Vulkan wird über kurz oder lang ausbrechen. Und mit dem größtmöglichen Teaser endet die Szene dann auch, in dem Teasle nämlich ein riesiges Buschmesser bei Rambo findet. Und auf die Frage, was er denn damit machen würde, reicht ein simples Wort, um dem Zuschauer ein Storyversprechen zu geben: „Hunting“.
Langsamer Temperaturanstieg
Wir erinnern uns: Begonnen hat alles mit einem entspannten Spaziergang an einem idyllischen See. Und nun stehen wir hier, mit einem Teaser auf eine blutige Jagd. Die Einführung von Rambo verwandelt in weniger als 10 Minuten einen gut gestimmten Zeitgenossen in einen desillusionierten Mann mit Killerblick. Der nichts mehr zu verlieren hat.
All das erfolgt so geschickt über einen längeren Zeitraum, dass wir als Zuschauer noch auf der Seite der Hauptfigur sind – trotz deren spürbar steigendem Aggressionspotential. Wobei, auf einer anderen Seite als der von John Rambo zu stehen, das wäre wohl auch nicht wirklich ratsam…