Mit Kater Auto fahren? Kein Problem, wenn man der Polizeichef der Stadt ist. Hat bald nicht nur mit inneren Dämonen zu kämpfen: Chief Jim Hopper.
Stranger Things (2016 – ) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Matt Duffer, Ross Duffer, Jessie Nickson-Lopez
In der amerikanischen Kleinstadt Hawkins verschwindet eines Nachts auf geheimnisvolle Art und Weise der kleine Junge Will Byers. Dessen drei besten Freunde Mike, Dustin und Lucas machen sich umgehend auf die Suche nach ihrem Kumpel. Genauso wie dessen besorgte Mutter Joyce, die sich verzweifelt an den örtlichen Polizeichef Jim Hopper (David Harbour) wendet. Der versucht erst einmal zu beruhigen. Wird schon nichts passiert sein. Kann er ja nicht wissen, dass unsere sympathischen Kleinstadtbewohner bald mit geheimen Regierungsexperimenten, übernatürlichen Fähigkeiten und echten Monstern konfrontiert werden.
Die Einführung von Jim Hopper
Der Morgen nach Wills Verschwinden. Die Kamera startet nah auf einem süßen Kinderbild. Und fährt dann langsam zurück, um uns einen Blick auf den Rest des Raumes zu ermöglichen. Der ist dann nicht mehr so niedlich. Auf einem Tisch liegen leere Bier- und Tablettendosen, ein angebissener Sandwich und ein gut gefüllter Aschenbecher. Und der Schuldige? Liegt schlafend, und noch halb angezogen, auf der Couch. Auf dem kleinen Tisch vor ihm noch mehr Bier und Kippen. Jim Hopper wacht auf und realisiert, dass er verschlafen hat. Darauf raucht er erst einmal eine Fluppe auf der Terrasse. Und die nächste dann gleich unter der Dusche. Zur Morgenroutine gehört, neben Zähneputzen, dann aber natürlich auch noch ein Schluck Bier, ne Kippe und ein Griff zu den Tabletten. Ein letzter Blick in den Spiegel. Passt alles. Also zieht sich Jim seine Polizeiuniform an und verläßt das Haus.
Die Analyse:
Die eigenen vier Wände sind ja auch immer ein Spiegelbild ihrer Bewohner. Was wiederum bedeutet, dass auch das Setdesign eine sehr wichtige Rolle bei der Einführung einer Figur spielen kann. Beispiel gefällig? Unser etwas heruntergekommener, aber moralisch noch sehr intakter Polizeichef Jim Hopper. Dessen erster Auftritt ist aber noch aus anderen Gründen die gelungenste der vielen Figureneinführung in der ersten Folge von „Stranger Things“.
Zu Beginn werden wir dabei erst einmal auf eine scheinbar falsche Fährte gelockt. Die erste Aufnahme zeigt ein von Kinderhand gemaltes Bild. Wir sehen darauf eine scheinbar glückliche Familie bestehend aus Vater, Mutter und Kind. Problem dabei, alles was danach kommt scheint diesem idyllischen Bild zu widersprechen. Der Zuschauer mag mit einem gemütlichen Familienheim rechnen, bekommt aber nun die heruntergekommene Bude des verkaterten Jim serviert. Ein etwas irritierender Beginn, auf den wir aber später noch einmal zurückkommen.
Setdesign und Charakter
Stattdessen werfen wir erst einmal einen Blick auf den weiteren Verlauf der Kamerafahrt. Diese hat vor allem ein Ziel: mit jedem weiteren Meter deutlich zu machen, dass diese Bude (und wohl auch ihr Bewohner) ihre besten Tage schon hinter sich hat. Als erstes fährt die Kamera langsam über einen Tisch auf dem unter anderem ein gut gefüllter Aschenbecher, ein angefressener Sandwich und eine leere Tablettendose liegen. Flankiert von jeder Menge leerer Bierdosen. Es ist dabei aber nicht nur die schlichte Anwesenheit dieser Dinge, die uns schon einen ersten Hinweis auf den Charakter eines möglichen Bewohners gibt. Sondern auch die Art und Weise, wie die Gegenstände hier platziert sind.
Eine Bierdose ist zusammengeknüllt, die Tablettendose liegt halb auf dem Essen, andere Gegenstände liegen ebenfalls umgeworfen auf dem Tisch – da hat sich wohl jemand nicht wirklich unter Kontrolle gehabt. Und als die Kamera weiterfährt wird klar, dass dieses Chaos sich nicht nur auf den Tisch bezieht. Auch auf dem Boden liegt jede Menge Zeug, der Fernseher läuft noch und auf einem Sessel findet sich eine verknitterte Jeans. Ordnung ist hier ein Fremdwort. Genauso wie Luxus, wenn man sich einen Blick auf das Mobiliar oder den alten Teppich erlaubt. Verstärkt wird das Ganze dann dadurch, dass noch ein weiterer kleiner Wohnzimmertisch nun ins Bild kommt. Auf dem ebenfalls noch mal eine Tablettendose, jede Menge Kippen und noch mehr Dosenbier anzutreffen sind.
Ein Bild mit Tiefgang
Mit diesem optisch sehr eindrücklichen Beginn wird beim Zuschauer, rein durch das Setting, also bereit schon eine gewisse Erwartungshaltung bezüglich des hier hausenden Bewohners geschürt. Und man wird nicht enttäuscht. Denn nun offenbart uns die Kamera Jim Hopper in seiner ganzen Pracht. Noch halb angezogen schläft er zusammengekauert auf der Couch. Dreitagebart und ein, wohl über einen deutlich längeren Zeitraum, angesammelter Bauchspeck runden das Bild ab. Ungepflegt und unordentlich, dazu wohl eine kleines Alkoholproblem gepaart mit einer Tablettenabhängigkeit. Nicht gerade ein schmeichelndes Bild, das Jim hier abgibt.
Interessant ist dabei, dass hier eben rein durch Äußerlichkeiten Charakteraufbau betrieben wird. Und die Kamerafahrt sozusagen Stück für Stück diesen heruntergekommenen Eindruck immer mehr verstärkt. Vom Figurenaufbau her ist das ziemlich konsequent durchgezogen. Und mit dem jetzt gelernten macht dann auch das Kinderbild vom Beginn an wieder Sinn. Denn es liefert uns, ein klein wenig versteckt, ein mögliches Motiv für den traurigen Anblick, den unsere Figur hier abgibt. Eine Behausung, die geradezu nach Singlewohnung schreit. Ein Bewohner, der offensichtlich seinen Frust wegsäuft und wegschluckt. Jetzt erscheint das Kinderbild von der perfekten Familie auf einmal in einem anderen Licht. Die wahre Geschichte dahinter wird zwar erst deutlich später aufgedeckt, aber der Zuschauer schon direkt in der ersten Szene einmal auf die richtige Spur gelockt.
Mit klarem Kopf ins Chaos
Stellt sich jetzt nur die Frage, wie weit hat sich denn unsere Figur denn nun im Griff. Ist bei Jim wirklich Hopfen und Malz verloren? Und so kommen wir jetzt zum zweiten Teil der Einführung von Jim, bei dem das Bild der Figur zumindest wieder etwas zurechtgerückt wird. Und ein angenehmer Spritzer Komplexität dazu kommt. Hopper geht nämlich als nächstes auf die Terrasse, um einen klaren Kopf zu bekommen. Und eine Kippe zu rauchen. Genau dieses Bild zieht sich nun durch die nächsten Szenen. Eine Figur, die versucht die Kontrolle zu behalten und doch ihre Abhängigkeiten nicht wirklich im Griff hat. Und das wird wundervoll verdeutlicht mit einem kleinen Blick auf Hoppers Morgenroutine.
Das Jim nun unter die Dusche steigt, sich mit Deo frisch macht und ordentlich die Zähne putzt zeigt uns: so ganz abgeschlossen mit dem Leben hat Jim offensichtlich nicht. Da achtet einer noch auf sein Äußeres. Naja, versucht es zumindest. Gleichzeitig wird nämlich auch auf clevere Art und Weise unterstrichen, dass dieses Aufhübschen dann doch die Probleme der Figur nicht wegschminken kann. Denn während der Morgenroutine gönnt sich Jim dann auch gleich mal ein Schlückchen Bier. Was das Zähneputzen wieder hinfällig macht. Und sich mit Deo einzusprühen bringt auch nicht soviel, wenn man gleichzeitig noch eine Kippe raucht. Und eine Tablette wird natürlich auch noch eingeworfen.
Gesetzeshüter mit Potential
Es sind dabei gerade solche Widersprüchlichkeiten, welche interessante Figuren ja ausmachen. Und in diesem Fall bringt das natürlich auch einen gewissen Humor mit in die Sache, was für die Sympathiewerte der Figur beim Zuschauer immer von Vorteil ist. Am Ende der Morgenroutine wird dann aber auch deutlich, dass diese Figur sich mit diesen Widersprüchen eigentlich ganz gut arrangiert hat. Das zeigt uns Jims abschließender und halbwegs zufriedener Blick in den Spiegel.
Eine große Überraschung haben die Macher dann aber in Sachen Charaktereinführung dann aber noch in Petto. Das Jim danach ausgerechnet in eine Polizeiuniform steigt, um seinen Dienst anzutreten, damit hat wohl keiner gerechnet. Aber dieser Überraschungsmoment ist dann doch in seiner Umsetzung auf seine ganz eigene Art und Weise wieder charakterkonform. Denn auch hier sehen wir wieder eine Figur, die trotz ihrer Schwächen doch versucht eine gewisse Seriosität zu wahren. Das wird durch die sorgfältige Art und Weise unterstrichen, mit der sich Hopper die Uniform anlegt. Und wie er sich dann, ja fast liebevoll, sich den Stift in die Brusttasche steckt. Nur ein kleines Detail, das aber zeigt: Hopper will zumindest die Fassade noch aufrechterhalten, auch wenn es dahinter rumort. So ganz verloren ist diese Figur also nicht.
Aufgeben ist nicht
Es ist so ganz spannend zu sehen, wieviel Charakterarbeit hier tatsächlich in der Einführung erfolgt. Und das obwohl hier kaum Worte verloren werden (ein kurzes „Oh, no“ beim Aufstehen mal außen vorgelassen). Dabei spielt die Einführung nicht nur erfolgreich mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Sie verpasst der Figur auch eine Vielschichtigkeit, in dem diese eben nicht einfach nur als eine Art heruntergekommener Versager gebrandmarkt wird. Sondern eine Figur, die eben doch noch nicht ganz aufgegeben hat. Und obendrauf gibt es dann noch eine erste Andeutung, welches Trauma diese Figur wohl in ihren jetzigen Zustand geführt haben könnte. Unterhaltung, Überraschung und ein bisschen Tiefgang – so sieht gute Charaktereinführung aus.