Liebe überwindet alle Hindernisse. Heißt es immer. Aber was, wenn die Angebetete ganz blau und fast doppelt so groß ist? Von ihrem langen Schweif mal gar nicht zu reden. Entdeckt dank Avatar seine softe Seite: Ex-Soldat Jake Sully.
Avatar (2009) – Die Story
Drehbuch: James Cameron
Der seit einem Kampfeinsatz querschnittsgelähmte Ex-Soldat Jake Sully (Sam Worthington) wird im 22. Jahrhundert auf den Planeten Pandora entsandt. Dank identischer Gene soll Jake hier als Ersatz für seinen verstorbenen Bruder an einem Avatar-Programm eines großen Konzerns teilnehmen. Dieser hat beim Abbau von Bodenschätzen auf dem Planeten Probleme mit den rebellischen Ureinwohnern, den sogenannten Na’vi. Genau in einen solchen Na’vi-Körper darf Jake nun schlüpfen um Kontakt zu den feindseligen Einheimischen herzustellen und diese auszuspionieren. Stellt sich natürlich die Frage, wer hier nun moralisch im Recht ist. Geldgeiler Großkonzern oder mystisches Urvolk. Mal überlegen…
Die Einführung von Jake Sully
Die Kamera fliegt über einen dicht bewachsenen Wald. Jake Sully spricht dabei zu uns. Über seine Träume vom Fliegen und der Freiheit, die er oft in seiner Zeit im Veteranenkrankenhaus hatte. Sully wacht auf. Er liegt, mit ein paar Tränen in den Augen, in einer kleinen Konservierungskammer. Er teilt uns mit, dass er in diesen fast sechs Jahren in der Kryokonservierung kein einziges Mal geträumt hat. Die Kammer öffnet sich und, zusammen mit vielen Anderen, wird Sully an Bord eines Raumschiffes aus dem Schlaf geholt.
Jake erzählt uns derweil etwas über seinen Bruder Tommy. Der sei ja eigentlich der bessere Wissenschaftler. Es folgen nun immer wieder Zwischenschnitte, in denen wir in Rückblenden sehen wie Jake im Leichenhaus den leblosen Körper von Tommy (seinem Zwillingsbruder) betrachtet. Während sein Bruder dort auch gleich eingeäschert wird, unterbreiten ein paar wichtig ausschauende Anzugträger Jake ein Angebot. Wieso nicht für seinen Bruder, und ein bisschen extra Cash, den Vertrag und damit die Stelle als Wissenschaftler auf Pandora annehmen? Da im nächsten Moment das Raumschiff auch direkt dort landet ist klar: Jake hat das Angebot offensichtlich angenommen.
Während die restlichen Soldaten im Schnellgalopp das Schiff verlassen, muss sich Jake aber erst einmal in einen Rollstuhl hieven. Und erzählt uns dabei, dass er einfach nicht die Kohle hat um seine Querschnittslähmung wieder „gerade zu biegen“ zu lassen. So rollt er aufs Rollfeld und darf sich dort den Spott seiner Militärkameraden anhören: „Essen auf Rädern“. Kein guter Start ins neue Leben…
Die Analyse
Nein, „Avatar“ strotzt jetzt nicht gerade vor Kreativität in Sachen Drehbuch. Die wurde dann doch lieber in die Effekte investiert. Was uns aber ja nicht davon abhalten sollte, trotzdem den bisher finanziell erfolgreichsten Film aller Zeiten unter die Lupe zu nehmen.
Ein ganz einfacher Weg um die Motive und Charaktereigenschaften unserer Hauptfigur herauszuarbeiten, besteht ja darin, dass diese sie uns einfach erzählt. Direkt zu Beginn. In the face. Wieso sich auch etwas Komplizierteres ausdenken, wenn man möglichst schnell mit der eigentlichen Story und dem Effektgewitter loslegen möchte. So erfahren wir von Jake gleich in den ersten zehn Sekunden, dass er viel Zeit im Veteranenkrankenhaus verbracht hat und dort davon träumte endlich Freiheit zu spüren. Hier stecken eigentlich schon alle drei entscheidende Aspekte für seinen Charakter drin, die in den nächsten Minuten inhaltlich noch weiter ausgebaut werden: Der Job als Soldat, die schwere Verletzung und die Hoffnung auf ein neues Leben.
Das Frontschwein der Familie
Der Eindruck, dass Jake in gewisser Hinsicht ein gebrochener Mann ist, mit dem es das Leben nicht ganz so gut gemeint hat, wird durch dessen Tränen in der Konservierungskammer noch weiter verstärkt. Wie leidenschaftslos er die Einäscherung seines eigenen Bruders hinnimmt zahlt ebenfalls auf dieses Konto ein. Und seine Aussage, er selbst sei ja nur ein „Frontschwein, das wieder in einem Drecksloch landet“, rundet das Ganze ab. Dabei nutzt der Film mal wieder das so beliebte Mittel des Kontrasts, um Jakes Charakter stärker herauszuarbeiten. In diesem Fall darf der eigene Bruder als Vergleich hinhalten.
Tommy war der Wissenschaftler, ich das Frontschwein – so läßt sich der Vergleich am Besten zusammenfassen. Jake beschreibt Tommy als jemanden, der sich ins All hatte schießen wollen um Antworten zu finden. Jake dagegen, das wird bald deutlich, ist wegen der Kohle hier. Geschickt nutzt der Film dabei auch den „Soldatenslang“ von Jake, um die Figur eindeutig zu positionieren. Der Kryoschlaf, so Jake, komme ihm vor wie „eine Flasche Tequila und ein Schlag in die Fresse“. So hätte das der Wissenschaftler Tommy wohl kaum ausgedrückt. Das ist eben auch Charaktersache.
Für einen guten Zweck
Während bei Tommy also der Intellekt der Grund für den Trip in den All war, ist es bei Jake die Kohle. Das wird bei der Einäscherung von Tommy deutlich, als ein paar Anzugsträger mit diesem Argument offensichtlich Jake überzeugen. Klingt das aber jetzt nach einem Helden, den wir als Zuschauer bewundern wollen? Nicht wirklich, aber natürlich hat der Film hier eine Antwort darauf, die man als erfahrener Kinobesucher nur zu gut kennt. Und so wird Jake in den nächsten Minuten ein wenig vom Saulus zum Paulus – dank eines ganz einfach Kniffs. Er macht Jake zu einem Outsider. Und wie?
Cameron setzt Jake einfach in einen Rollstuhl. Und nachdem uns Jake dann auch noch darüber aufklärt, dass er einfach nicht die Kohle hat um seine Querschnittslähmung behandeln zu lassen, ändert sich schlagartig die Perspektive des Zuschauers. Denn jetzt ist klar, dass die Kohle für einen moralisch guten Zweck ist. Das weckt natürlich Sympathie beim Zuschauer, die nun noch weiter vom Film forciert wird. Und zwar mit dem guten alten Stilmittel, den Protagonisten einfach mit einem Haufen unsympathischer Leute zu umgeben. „Essen auf Rädern“ – so nennen ihn seine Kollegen auf dem Rollfeld. Kollegen, die Jake selbst wiederum als herzlose Söldner bezeichnet. Spätestens jetzt sind die Sympathien also klar verteilt.
Prioritäten setzen
Ja, die klassische Outsider-Positionierung hilft eben immer. Und mit der Querschnittslähmung hat man, so fies es natürlich auch klingt, eine ziemlich gute Voraussetzung, um beim Zuschauer Sympathie zu wecken. Schade nur, dass der Film vieles vom Charakter der Hauptfigur derart simpel via eines Voice-Over transportiert. Aber das ist eben eine Sache von Prioritäten und bei „Avatar“ ist das Ziel eben eindeutig, dass man eine grobe Charakterzeichnung und etwas Grundsympathie für den Anfang reicht. Man möchte ja möglichst schnell in die Geschichte einsteigen. Den Job hat „Avatar“ zwar erledigt, nur mit dem Kreativitätspreis wird es eben leider nichts.
P.S.: Ursprünglich gab es auch eine etwas längere Einführung von Jake (wer will kann gerne danach auf Youtube stöbern). Dabei sticht vor allem ein kleiner Barfight heraus, bei dem Jake einer wehrlosen Frau trotz seiner Behinderung hilft. Aber auch diese Einführung kommt eher mit dem Holzhammer daher, ein Kleinod ist auch da definitiv nicht verlorengegangen.