Gibt es etwas Schöneres als ein Leben am Starnberger See? Vielleicht das Leben als Kaiserin am Hofe von Wien? Dafür braucht unsere Sissi allerdings noch den passenden Franzl.
Sissi (1955) – Die Story
Drehbuch: Ernst Marischka
Unbeschwert wächst die junge und ungestüme Prinzessin Elisabeth (Romy Schneider), von allen nur Sissi genannt, in ihrem elterlichen Schloss am Starnberger See auf. Wie es das Schicksal so will trifft Sissi durch Zufall eines Tages auf den österreichischen Kaiser – und beide fühlen sich gleich zueinander hingezogen. Der gute Franz Joseph ist allerdings ausgerechnet Sissis Schwester Helene schon als Ehemann versprochen. Klingt kompliziert, aber wahre Liebe ist ja im Kino jetzt nicht gerade chancenlos…
Den ganzen Film gibt es hier zu sehen.
Die Einführung von Sissi
Wir befinden uns zu Beginn des Filmes am traumhaften Starnberger See, dessen Idylle nur noch von dem unbeschwerten Leben der dort in einem Schloss wohnenden Herzogsfamilie übertroffen wird. Zu einem derer größten Probleme zählt dabei schon, dass Herzog Max seine zahlreichen Kinder zum Unwillen seiner Ehegattin ohne adlige Etikette erziehen möchte. Hauptsache, die Kinder haben Spaß. Eines davon nimmt sich das besonders zu Herzen. Erst nach dem Weißwurst-Frühstück trifft die junge Sissi ein – und zwar hoch zu Ross auf ihrem wilden Hengst. Und Papa ermuntert seine wilde Prinzessin, zum Entsetzen ihrer Mutter, dann gleich auch noch zu einem riskanten Sprung über die Rosen. Das wiederum läßt sich die gute Sissi nicht zweimal sagen.
Kaum abgestiegen kümmert sich Sissi dann erst einmal liebevoll um ein paar Tiere aus ihrem kleinen Privatzoo. Das Pferd kriegt Extra-Futter, die Vögel bekommen auch ein paar Leckerli und ein von Sissi adoptiertes Rehkitz bekommt höchstpersönlich von der Prinzessin die Milchflasche gereicht. Für die Angestellten auf dem Grundstück hat Sissi natürlich auch noch ein paar warmherzige Worte übrig. Und als Sissi kurz darauf von ihrem stolzen Papa für ihre Reitkünste auch noch mit einer Einladung zur gemeinsamen Jagd belohnt wird, folgen dann auch noch ein paar dicke Busserl für den Vater.
Die Analyse
Jede Menge Idylle. Genau das braucht man nach einem grausamen Weltkrieg. Wohl kaum eine Filmreihe im deutschsprachigen Land steht so stark für das „Heile Welt“-Gefühl wie die „Sissi“-Trilogie. Große Kinokunst verbinden wohl nur wenige Menschen mit diesen Filmen, trotzdem gibt es aber durchaus ein paar interessante Aspekte bei der Einführung unserer zuckersüßen Kaiserin zu entdecken.
Erziehung ist alles
So wird zu Beginn nicht etwa als Erstes die Hauptfigur präsentiert, sondern erst einmal ihr Umfeld etabliert. In der ersten Szene beobachten wir Sissis Vater und dessen fröhlichen Umgang mit den kleineren Geschwistern unserer Prinzessin. Ein ganz geschickter Schachzug, denn über diesen kleinen Umweg bekommen wir ein gutes Bild davon, wie unbeschwert wohl auch Sissis Kindheit hier am malerischen See gewesen sein dürfte. Idylle pur – und das liegt eben nicht nur an der Location, sondern auch an der liebevoll-verspielten Vaterfigur.
Beim anschließenden Familien-Frühstück ist Sissi ebenfalls nicht anwesend. Interessanterweise ist sie aber nicht die Einzige, die fehlt. Auch Helene, die älteste Tochter der Familie, ist weit und breit nicht zu sehen. Genau diese Helene wird im Laufe des Filmes zur ärgsten „Konkurrentin“ von Sissi rund um die Gunst des österreichischen Kaisers. Auch diese Figur hält der Film erst einmal bewusst zurück und entscheidet sich stattdessen für eine durchaus clevere Alternative. Er läßt beide nämlich eigentlich doch am Frühstück teilnehmen, allerdings via Stellvertreter.
Stellvertreter-Krieg
Komplett idyllisch ist das Frühstück im Schloss nicht. Der Konflikt am Frühstückstisch resultiert dabei aus den unterschiedlichen Charaktereigenschaften von Vater und Mutter. Unser Herzog liebt Abenteuer, hat Flausen im Kopf, benutzt nur ungern Besteck zum Frühstück und lädt auch jemand vom einfachen Volk gerne zu sich ins Schloss ein. Die Herzogin wiederum kann nur die Hände über den Kopf zusammenschlagen, angesichts des ihrer Meinung nach schlechten Vorbildes, welches ihr Ehemann den eigenen Kindern gegenüber abgibt. Gleich mehrmals kommt dieses Thema am Frühstückstisch auf und wird entweder direkt angesprochen oder zeigt sich in den Reaktionen der beiden Parteien (z.B. als die Herzogin nicht die Hand des „einfachen“ Gastes ihres Mannes schütteln möchte).
Das der Film soviel Zeit in die Charakterzeichnung der Eltern steckt hat aber einen guten Grund. Es wird nämlich schnell deutlich, dass beide stellvertretend für ihre beiden ältesten Kinder stehen. Der Vater verkörpert Sissi, die Mutter die ebenfalls nicht anwesende Helene. Schon die Begründungen, warum die beiden Damen nicht am Tisch sitzen, geben uns hier einen Hinweis. Während Sissi wieder einmal mit ihrem „wilden Pferd“ (O-Ton Mutter) ausgeritten ist, nimmt Helene nicht teil weil ihr Weißwürste nicht schmecken. Die unterschiedlichen Charaktere und Weltanschauungen der beiden Schwestern werden hier also sozusagen auf dem Frühstückstablett serviert – ein durchaus geschicktes Mittel für einen Film, den man ja nicht gerade mit Tiefgang assoziiert.
Sprung in die Geschichte
Der erste Auftritt unserer Sissi ist dann ein durchaus schwungvoller – und ein gut vorbereiteter. Als der Vater von den Heiratsabsichten des österreichischen Kaisers erfährt stößt er auf die noch unbekannte neue Kaiserin an. Genau in diesem Moment wird auf unsere reitende Prinzessin geschnitten und so gleich einmal klargestellt, dass die neue Kaiserin nur einen Namen tragen kann.
Es ist ein ziemlicher Power-Auftritt, der dann noch einmal dadurch gesteigert wird, dass der nach unten geeilte Vater seine Sissi jetzt auch noch zu einem riskanten Sprung über die Rosen animiert. Sehr zum Unwillen der Herzogin, die Risiko und Unbekümmertheit nicht gerade für adlige Tugenden hält.
Es ist dann auch der Vater, der den fulminanten Auftritt seiner Tochter gleich passend kommentiert: „Ein Prachtmädel“. Sissi hat Feuer unterm Hintern, was durch das knallrote Outfit auch optisch noch einmal unterstrichen wird. Es ist klar, dieses Mädchen genießt das Leben. Aber außer einem lautstarken Jubelschrei beim Springen haben wir von Sissi ja eigentlich noch gar kein einziges Wort gehört. Dank ihres Stellvertreters, in Form ihres Vaters, haben wir aber jetzt schon ein gutes Bild davon bekommen, wie sie wohl tickt.
Zuckerschock für Tiere
Nun ist jede Menge Power zu haben ja eine gute Sache, aber um uns sympathisch zu sein braucht es natürlich noch ein bisschen mehr. Nach dem schwungvollen ersten Auftritt folgt nun deswegen auch der zweite Teile der Einführung, in dem uns Sissi als herzensgutes Mädel präsentiert wird. Und ja, jetzt wird hier schon jede Menge Zucker über das Drehbuch geschüttet. Liebevoll verteilt Sissi nun ihre Liebe auf alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Das Pferd bekommt die verdiente Belohnung, die Vöglein werden gefüttert und ein von ihr selbst adoptiertes Rehkitz mit der Milchflasche gesäugt. Und natürlich weist ein Bediensteter daraufhin, dass dieses Rehkitz sich ja nur von Sissi füttern lassen läßt.
Selbstverständlich geht Sissi in dieser Szene natürlich auch genauso charmant wie bodenständig mit dem im Garten anwesenden Dienstpersonal um. Einer Bediensteten bietet sie sogar an, ihr Medizin für ihre Gicht vorbeizubringen. Soviel Herzensgüte in eine einzige Szene zu packen muss man auch erst einmal schaffen. Glücklicherweise gibt es in diesem zweiten Abschnitt, neben dem Zuckerschock, auch noch ein paar etwas weniger offensichtliche Charakterhinweise zu entdecken.
Rebellisches Rehkitz
Das im Vogelkäfig ausgerechnet bunte Papageien sitzen ist natürlich eine sehr schöne kleine Vorankündigung von Sissis zukünftigem Leben am Wiener Hof. Der bunte Vogel eingesperrt im goldenen Käfig. Noch interessanter ist allerdings eine kleine Episode rund um das von Sissi aufgenommene Rehkitz. Als Sissis drei Bernhardiner kläffend in das kleine Gehege des Kitzes stürmen, werden diese von Sissi erstmal böse zusammengestaucht. Als das nicht funktioniert ermuntert Sissi das Rehkitz erfolgreich einen der Hunde wieder zu verjagen: „Lass dir nichts gefallen von dem Kerl!“
Ein kleines süßes Rehkitz das keinerlei Respekt vor viel mächtiger erscheinenden „hohen Tieren“ hat – das klingt doch irgendwie interessant. Nach den Papageien und dem Vater nun also schon der nächste „Stellvertreter“ für unserer Prinzessin. Man hat sich also durchaus kreative Gedanken gemacht, wie man den Charakter der Figur schon in der ersten Szene möglichst eindeutig positioniert. Enden tut die Szene mit der Einladung vom Vater zur gemeinsamen Jagd, womit dann nicht nur noch einmal die Beziehung zum Vater weiter verstärkt wird, sondern auch wieder ein schöner Bogen zu Beginn geschlagen wird. Diese Sissi kommt ganz nach ihrem Vater und ist einfach eine herzensgute Dame mit Hummeln im Arsch – da kann sich unser Franzl ja nun wirklich auf etwas freuen.