Mit „Dark“ präsentiert uns Netflix seine erste deutsche Serie und ein schon fast überbordendes Figurenensemble. Nicht nur wegen seiner auffälligen gelben Regenjacke ganz vorne dabei: der vom Schicksal arg gebeutelte Jonas Kahnwald.
Dark (seit 2017) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Jantje Friese
Auf den Spuren von Stranger Things sucht eine Kleinstadt nach einem vermissten Kind – und schon bald auch nach einem zweiten. Mittendrin der 16jährige Jonas Kahnwald (Louis Hofmann), dessen Vater sich unter mysteriösen Umständen das Leben genommen hat. Vorhang auf für einen Mix aus Thriller und Fantasy – angereichert mit einem kleinen Schuss Nostalgie made in Germany.
Die Einführung von Jonas Kahnwald
Los gehts, mal wieder, mit einer klassischen Teaser-Texteinblendung. „Der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist nur eine Illusion, wenn auch eine hartnäckige…“. Sagt Albert Einstein. Eine mysteriöse klingende Off-Stimme philosophiert dann weiter über das Wesen der Zeit, während uns die Kamera in einen geheimnisvollen Keller entführt – vollgestopft mit Munition und alten Fotos. Schnitt zu einem einsamen Haus im Wald im Jahre 2019. Ein Mann versiegelt einen Brief, schnauft kurz durch und erhängt sich.
Die Kamera fährt auf den Brief, auf dessen Umschlag handschriftlich vermerkt ist, dass er erst in ein paar Monaten zu öffnen ist. Anschließend gleitet sie auf das daneben stehende Familienbild, auf dem der Mann einen Arm um einen Jungen gelegt hat. Es folgt ein harter Cut und dieser Junge, Jonas Kahnwald, wacht schweißgebadet in seinem Bett auf. Er ringt nach Luft, verharrt dann einen Moment, stellt die Füße auf den Boden und bleibt auf der Bettkante sitzen. Jonas ist völlig durch den Wind. Er schnappt sich eine Dose mit Tabletten, schluckt eine davon und versucht sich zu entspannen. Sein Puls wird etwas ruhiger. Es folgt der Vorspann der Serie.
Die Analyse:
Wie kann ich meine Hauptfigur an den Zuschauer binden? Das ist ja die entscheidende Frage bei der Charaktereinführung. Das dies auch möglich ist ohne den Protagonisten nur ein einziges Wort sprechen zu lassen, stellt die Netflix Eigenproduktion „Dark“ gekonnt unter Beweis.
Wir bekommen hier zuerst ein Stück Hintergrundgeschichte und erst danach die dazu passende Hauptfigur geliefert, für die dieses traumatisch Ereignis von so entscheidender Bedeutung ist. Das der Mann, der hier Selbstmord begeht, der Vater von Jonas ist, wird uns dabei durch den Schwenk auf das Familienfoto verdeutlicht – sozusagen das Bindeglied zwischen diesen beiden Szenen.
Fotos in der Charaktereinführung
Der Einsatz von Fotos taucht im Rahmen der Charaktereinführung übrigens generell sehr häufig auf. Es ist nunmal der einfachste und deswegen auch meistgenutzte Weg, um in Filmen oder Serien schnell irgendwelche Beziehungsgeflechte zwischen Figuren zu verdeutlichen. Wirklich kreativ mag das nicht sein, und man freut sich eigentlich jedes Mal, wenn jemand sich hier die Mühe macht, um eine einfallsreichere Lösung zu finden. Aber man muss eben auch zugeben, es ist verdammt effektiv. Und im Fall von „Dark“ auch nötig, denn in der ersten Folge wird man geradezu mit Figuren bombardiert. Und wer mal wirklich seine Grenzen aufgezeigt bekommen will, der nutzt die erste Folge für ein Trinkspiel, bei dem man für jedes Auftauchen eines Familienfotos einen Kurzen verköstigen darf. Das wird kein langer Abend.
Nun mag es im Verlaufe der ersten Folge zwar viele Figuren geben, aber der Beginn macht deutlich, auf wem hier der größte Fokus liegt. In seiner ersten Szene springt uns Jonas nämlich förmlich entgegen. Als ob uns die Macher sagen wollen: „In your face, hier ist eure Hauptfigur!“ Dieser Moment hat auch einen gewissen Hallo-Wach-Effekt. Ein Willkommensgruß der Realität, denn das Intro davor versprüht eine Atmosphäre, die von der Stimmung her eher wie eine Art mysteriöser Traum wirkt. Dieser Effekt wird durch das plötzliche Aufwachen von Jonas nur noch verstärkt.
Rein in den Kopf der Hauptfigur
Jetzt also geht unsere Geschichte erst richtig los – so könnte man die Wirkung hier am Besten beschreiben. Gleichzeitig ist es natürlich auch ein geschicktes Mittel, um die ersten emotionalen Bande zwischen den Zuschauern und Jonas zu knüpfen. Vom ganzen Aufbau der Szene her zieht man als Zuschauer ja den Schluss, dass Jonas gerade vom Selbstmord seines Vaters geträumt hat. Also genau von der Szene, die wir als Zuschauer auch gerade gesehen haben. Gefühlt waren wir also irgendwie in Jonas Kopf – und das schweißt natürlich zusammen.
Noch entscheidender ist aber natürlich, dass wir die Emotionen von Jonas auch verstehen. Der Verlust des Vaters ist ein Schmerz, den die meisten von uns sehr gut nachvollziehen können – womit ein starker emotionale Anker beim Zuschauer erfolgreich gesetzt ist. Gleichzeitig nimmt diese Szene auch schon die Motivation der Figur vorweg. Dass Jonas offensichtlich von diesem Ereignis sehr mitgenommen ist, und sogar auch Beruhigungstabletten benötigt, zeigt, dass er dieses Trauma offensichtlich noch nicht verarbeitet hat – und es für ihn hier noch eine offene Wunde gibt, die geschlossen werden muss.
Obwohl ich als Zuschauer also von meiner Hauptfigur lediglich eine wortlose Reaktion auf ein vergangenes Ereignis geliefert bekomme, bin ich trotzdem schon auf ihrer Seite und habe Verständnis für deren Gefühlswelt. Mit der richtigen emotionalen Vorgeschichte kann man also auch mit so einem „einfachen“ Mittel den Zuschauer auf seine Seite ziehen.