Kulturelle Unterschiede gefällig? In den USA durfte Kevin Costner als Bodyguard seine Whitney beschützen. Die britische BBC dagegen lässt ihren Bodyguard mit dem Gedanken spielen seine Schutzperson umzubringen. Sollte echt seine Jobbeschreibung noch mal durchlesen: David Budd.
Bodyguard (seit 2018) – Die Story
Drehbuch Episode 1: Jed Mercurio
Der Polizist David Budd (Richard Madden), vor einiger Zeit traumatisiert aus dem Afghanistan-Krieg zurückgekehrt, vereitelt mal eben ganz souverän einen Selbstmordanschlag auf einen Zug in London. Und da Helden Karriereleitern ja immer etwas schneller erklimmen dürfen, wird David postwendend zum Bodyguard der britischen Innenministerin ernannt. In der Realität wohl ein langweiliger Job. Aber politischen Verschwörungen und einer traumatisierten Hauptfigur sei dank, ist es in der Serie mit der Langeweile schnell vorbei…
Die Einführung von David Budd
Wir hören Gewehrfeuer. David Budd wacht auf. Es war nur ein Traum. Glücklicherweise sitzt David nämlich nur in einem Zug – mit seinen beiden Kindern friedlich an seiner Seite. Nicht träumen tut er allerdings, als er dann an einem Bahnsteig durch das Zugfenster einen Mann beobachtet, der sein Handy in den Müll wirft. Wenige Minuten später sieht David eine Schaffnerin, die vergeblich an eine besetzte Zugtoilette klopft. Er zählt eins und eins zusammen und bittet eine Nachbarin auf seine schlafenden Kinder aufzupassen, schnappt sich die Schaffnerin und outet sich als Polizist.
Ein Hoch dem Teaser. Hier ein paar Einblicke in die Eröffnungssequenz.
Die Schaffnerin beichtet ihm, dass ein Terroralarm für einen Selbstmordattentäter vorliegt und der Zug nun auf ein Abstellgleis umgeleitet wird. Während ein Spezialeinsatzkommando sich dort in Position bringt geht Budd zur Toilette. Der Plan: den Bösewicht einfach aus dem Zug werfen. Als dieser aber die Toilette verlässt macht dieser einen harmlosen Eindruck. David folgt ihm zuerst, bis ihm einfällt, doch vielleicht noch einmal lieber die Toilette zu checken. Dort entdeckt er dann die junge Nadia – die einen Sprengstoffgürtel trägt.
David versucht die spürbar ängstliche Dame zu beruhigen. Nicht gerade eine einfach Aufgabe, da diese ihre zitternden Finger am Auslöser hat. Also erzählt David ein paar private Details von sich. Und macht klar, dass die Spezialeinheit zwar schon anrückt, aber alle Beteiligten noch gut aus dieser Sache herauskommen können. Als der Zug anhält will die Spezialeinheit allerdings die Attentäterin sicherheitshalber mit Gewalt ausschalten. David weigert sich aber deren Anweisungen zu befolgen und stellt sich zwischen die beiden Parteien. Er vermittelt erfolgreich und so kann, nach ein paar dramatischen Momenten, Nadia schließlich gewaltlos entwaffnet werden.
Die Analyse
20 Minuten. So lange dauert die Einführungssequenz von David Budd. Da nimmt sich aber jemand ganz schön viel Zeit für die Einführung seiner Hauptfigur. Geht aber schnell vorüber, dank ziemlich gelungenem Spannungsbogen. In dem gleichzeitig ein sehr ausführliches Bild unseres Protagonisten gezeichnet wird. Mit vielen „typischen“ Heldeneigenschaften und der obligatorischen Achillesferse. Schließlich soll die Figur ja nicht zu übermenschlich wirken. Ein Held vom Reißbrett könnte man fast sagen. Interessanter ist da schon, wie leichtfüßig „Bodyguard“ manch trockene Hintergrundinformation vermittelt.
Los geht es aber erst mal mit Gewehrfeuer. Als aller erstes etabliert „Bodyguard“, dass seine Hauptfigur offensichtlich ein Trauma mit sich herumschleppt. Ein kleiner Teaser zu Beginn, auf den wir in dieser Eröffnungssequenz noch mal stoßen werden. Wie David kurz darauf auf seine friedlich schlafenden Kinder blickt, unterstreicht dann, dass er sich insgeheim nach einem friedlicheren Leben sehnt. Spätestens, wenn er dann auch noch seine beiden Kinder liebevoll zugedeckt hat, wird uns schon einmal ein sehr beliebtes Heldengrundgerüst angedeutet. Eine anständige Figur, die eigentlich mit Gewalt nichts zu tun haben möchte, mit dieser aber in ihrem Leben nun mal konfrontiert wurde/wird.
Alle in Sicherheit
Bald ahnt man dann auch, dass diese schlechten Erfahrungen wohl einen beruflichen Hintergrund haben könnten. Die Art und Weise wie David den verdächtigen Mann am Bahngleis und kurz darauf die Schaffnerin beobachtet, läßt schnell die Vermutung aufkommen, dass David kein alltäglicher Passagier ist. Ein bisschen Gewehrfeuer, ein paar Blicke – Charakteraufbau zu betreiben kann manchmal so simpel sein. Ab jetzt wird das, was bisher angedeutet wurde, eigentlich vor allem nur noch weiter verstärkt. Zum Beispiel mit einer ganz klassischen Szene, die vor allem im Action-Bereich sehr häufig zu finden ist: Unser Held möchte in die Action eingreifen, muss sich aber erst noch vergewissern, dass seine Liebsten auch wirklich sicher sind.
Gleich in zwei Momenten blickt David auf seine Kinder und zögert kurz, ob er diese denn jetzt wirklich alleine lassen kann. Dieses kleine Dilemma der Hauptfigur hat gleich einen mehrfachen Nutzen für die Story. Einmal dramaturgisch, denn so wird der Einsatz der Hauptfigur noch einmal erhöht und mehr Spannung erzeugt. Und dann ist es natürlich noch eine Verstärkung des „guten“ Charakters der Hauptfigur, die ja eigentlich ein friedliches Leben möchte, aber letztendlich gezwungen ist zu handeln. Hier lösen die Macher die Gefahr eines möglichen „Rabenvater-Images“ elegant dadurch, dass David eine Sitznachbarin als Aufpasserin für die Kinder anheuert.
Helden und ihre Prinzipien
Der Grundstein für Heldentum ist also gelegt – David kann nun in die Action eingreifen. Und da wahre Helden immer ein bisschen besser sind als der Rest, bekommen wir in den nächsten Minuten deutlich gezeigt, dass dieser Junge einfach verdammt gut in seinem Job ist. Schon kleine Details zeigen das. So beschreibt David selbst im größten Stress noch das Modell und die Fähigkeiten der Schusswaffe, mit der die Spezialeinheit Nadia bedroht. Oder er korrigiert die Schaffnerin bei ihrer falschen Nennung des Namens der Spezialeinheit. Dazu behält er (fast) immer schon einen gespenstisch kühlen Kopf und gibt so zum Beispiel mal eben nebenher die Evakuierung des Zuges in Auftrag. Cleverer als die Spezialeinheit ist er sowieso, zum Beispiel, wenn er der Scharfschützin später geschickt die Sicht auf Nadia versperrt.
Das Wichtigste aber ist, dass David das Kommando übernimmt. Er gibt klare Anweisungen und übernimmt Verantwortung. Passive Helden sind eben einfach nicht sexy. Und er ist absolut kompromisslos. Da wird schon mal geplant einen Terroristen aus dem Zug zu schmeißen. Genauso wie David einen weiteren wichtigen Punkt auf der Charakter-Checkliste für Helden erfüllt: er hat keine Angst vor Autoritäten. Wie ein guter Held pfeift er auf die Regeln, wenn es im Dienste der Sache ist. Hier legt er sich mit einem kompletten Spezialeinsatzkommando an, nur um das aus seiner Sicht Richtige zu tun. Es ist eben auch in einer Serie wie im wahren Leben: Menschen, die für ihre Prinzipien einstehen, sind halt einfach verdammt attraktiv. Und David macht dies sogar unter dem höchstmöglichen Einsatz: dem eigenen Leben.
Der moderne Held
Ja, „Bodyguard“ fährt zu Beginn schon die ganz große Heldennummer. Nun gibt es da ja immer zwei mögliche Richtungen. Ich kann meinen Protagonisten mit ein paar coolen Sprüchen ausstatten und Reminiszenzen an die Generation der 80er Jahre Action-Helden wecken. Oder ich gehe den moderneren Weg des verletzlichen Helden. „Bodyguard“ geht mit der Zeit und entscheidet sich für Letzteres. So folgt ein weiterer Moment, in dem die Vergangenheit David kurz einholt: Ein traumatischer Anfall setzt ihn für ein paar Sekunden außer Gefecht. Vor allem aber menschelt David auch innerhalb der dramatischsten Momente und gibt hier selbst offen zu, auch Angst zu haben. So sieht der Held von heute aus.
Den Spagat zwischen verletzlicher Mensch und starker Held schafft die Eröffnungssequenz dabei vor allem dank eines simplen Vorgehens. David darf zwar Nerven zeigen, trifft aber trotzdem immer die richtige Entscheidung. Er zeigt Furcht, ist aber dann auch immer wieder furchtlos. Oder wer würde von uns mal eben einen Sprengstoffattentäter aus dem Zug werfen wollen. Diese Mischung aus Muffensausen und Coolness bekommt die Serie hier zu Beginn bei ihrer Hauptfigur richtig gut hin und etabliert so geschickt einen „modernen“ Helden, der sich auch nicht zu schade ist Emotionen zu zeigen.
Ein Leben für den Underdog
Spannend ist allerdings auch noch, wie das Band zwischen David und dem Zuschauer weiter gestärkt wird. Man sagt ja gerne, dass ein Held nur so gut ist wie sein Gegenspieler. Aber wer ist hier eigentlich der Antagonist? In den ersten Minuten könnte man meinen, dass die Terroristin Nadia der natürliche Gegenspieler von David ist. Hier dreht die Eröffnungssequenz aber geschickt den Spieß um, in dem sie Nadia und David zu einer Art „Brüder im Geiste“ werden läßt. Zum neuen Bösewicht wird dagegen die Spezialeinheit, die das unsaubere blutige Ende bevorzugt. In dem Nadia zur an sich selbst zweifelnden Terroristin wird, gewinnt sie auf einmal Sympathien beim Publikum. Nicht nur das, auf einmal ist sie, trotz Sprengstoffweste, gefühlt der Underdog in der Situation. Sie ist die schwache Person, die es zu beschützen gilt. Und damit ist auch klar, was die Aufgabe des Helden ist.
Davids Charakter profitiert ungemein von der Figur der Nadia, da seine Unterstützung des Underdogs nur noch weitere Sympathien des Publikum für ihn auslöst. Eine weiteres Kreuz bei unsere Heldeneigenschaften-Checkliste. Er steht also auf der Seite der Schwachen, riskiert für seine Prinzipien sein Leben und ist gleichzeitig genauso verletzlich wie abgeklärt – David Budd ist wirklich ein Held wie er im Buche steht.
Kontext ist alles
Vielleicht weil das alles fast eine Spur zu perfekt klingt, fast schon zu arg am Reißbrett entworfen, wollen wir das größte Lob uns für eine andere Sache aufheben. Die Art und Weise wie Stück für Stück hier Hintergrundinformationen zu David nahtlos in die Handlung integriert werden ist nämlich wirklich clever. Solche Infos werden ja nur zu oft lieblos und etwas zu konstruiert in die Exposition geworfen. „Bodyguard“ dagegen verbindet diese Infos immer wieder gekonnt mit der Handlung und dem Spannungsbogen der Eröffnungssequenz.
Wenn David Sachen über sich erzählt, dann weil es wirklich Sinn macht – ob jetzt gegenüber der Schaffnerin oder auch Nadia. Die Szene mit Nadia ist ein gutes Beispiel. Hier kommt die Sequenz tatsächlich mit einer simplen „Das bin ich und das mache ich“-Vorstellung von David daher, die in diesem Kontext aber super funktioniert, da genau dies in dieser Situation gegenüber Nadia Sinn ergibt. Je mehr sich David und Nadia unterhalten, desto mehr gibt David von sich preis. Eben weil er das muss, um ein Band zu ihr aufzubauen, um damit das Leben der Passagiere (und natürlich sein eigenes) zu retten. Dazu werden einige dieser Informationen auch geschickt an den Spannungsbogen gekettet. So ist die wichtigste Info über David wundervoll mit einem höchst dramatischen Moment verbunden.
Hand in Hand mit dem Spannungsbogen
Als Nadia die Tür wieder zuziehen möchte, und David sie scheinbar verloren hat, öffnet er sich gegenüber ihr (und dem Publikum) und erzählt von Afghanistan: „I was in Afghanistan. I saw mates get killed. Nearly got killed myself. For what? Nothing. Politicians…cowards and liars.“ Diese Information ist das wohl wichtigste Puzzlestück über diese Figur, und sie macht an dieser Stelle so perfekt Sinn, weil nur mit etwas so persönlichem David die Situation und sein Leben noch retten kann.
Diese Information wirft David uns nicht nur einfach hin, diese Aussage kostet ihn richtig Kraft. Und genau deswegen wirkt sie soviel überzeugender, als wenn David diese nur mal einfach eben in einem Briefing erwähnt hätte. So mag die Dosis Heldentum, die uns bei der Einführung von David hier präsentiert wird, zwar schon ein bisschen extrem sein. Aber es ist interessant zu sehen, dass auch so extreme und „unnatürliche“ Situationen gut dafür genutzt werden können, um ganz natürlich wirkenden Charakteraufbau zu betreiben. Alles eine Frage der Technik.