Archäologiestudenten werden ja immer vor düsteren Jobaussichten gewarnt. Kleiner Tipp: Nebenfach „Grabräuber“ belegen, schon stimmt es mit der Kohle. Fühlt sich überall wohl, außer in der Reptilienabteilung: Indiana Jones.
Jäger des verlorenen Schatzes (1981) – Die Story
Drehbuch: Lawrence Kasdan
Im Jahr 1936 erhält der verwegene Abenteurer und Archäologe Dr. Indiana Jones (Harrison Ford) den Auftrag die verschollene Bundeslade zu finden – bevor diese, und die ihr zugeschriebene Macht, den Nazis in die Hände fällt.
Die Einführung von Indiana Jones
Unter der Leitung des amerikanischen Archäologen Indiana „Indy“ Jones schlägt sich eine kleine Expedition aus Einheimischen durch einen dichten Dschungel in Südamerika. Als die Gruppe über eine mysteriöse Statue stolpert sucht die Hälfte der Jungs aber gleich mal ängstlich das Weite. Die beiden verbliebenen Begleiter von Jones werden kurz darauf durch den Fund eines frischen Giftpfeils noch weiter verängstigt – diese Expedition scheint in den sicheren Tod zu führen.
Warum also nicht einfach den von all dem bisher unbeeindruckten Archäologen erschießen, denkt sich einer der beiden Begleiter. Bevor er aber dazu kommt seinen Revolver abzufeuern wird er von Jones mit Hilfe eines eleganten Peitschenhiebs entwaffnet und muss in die Untiefen des Dschungels flüchten. Jones und sein letzter verbliebener „Assistent“ wagen sich dagegen in eine mysteriöse Höhle vor, die mit lauter tödlichen Fallen gespickt ist. Jones gelingt es alle elegant zu umschiffen und das Objekt seiner Begierde, eine goldene Götzenfigur, einzusacken.
Leider löst er dabei aber auch einen Mechanismus aus, der die ganze Höhle zum Einsturz bringt und weitere Fallen aktiviert. Auf der halsbrecherischen Flucht versucht seine Begleitung Jones zu hintergehen, findet aber den Tod. Unser Protagonist kann mit Mühe entkommen – nur um vor der Höhle dann auf seinen alten Rivalen, den französischen Archäologen Belloq, zu treffen. Dieser wartet gleich mit einer bis an die Zähne bewaffneten Armee aus Ureinwohnern auf ihn und nimmt Jones die Götzenfigur ab. Jones kann in einer waghalsigen Aktion gerade noch so in ein bereits auf ihn wartendes Flugzeug flüchten. Der abschließende Flug in den Sonnenuntergang könnte zwar ganz romantisch sein, wenn unser Archäologe nicht noch unter seinem Sitz die Lieblingsschlange seines Piloten Jock entdecken würde.
Analyse: Cooler Held im Impro-Modus
Wenn man „Jäger des verlorenen Schatzes“ anspricht, denken viele höchstwahrscheinlich gleich an einen der beiden folgenden Filmmomente: Jones Griff nach der Götzenfigur oder dessen Flucht vor einer riesigen rollenden Steinkugel. Beide Szenen stammen aus der Eröffnungssequenz des Filmes, die sicherlich zu einer der berühmtesten der Filmgeschichte gehört. Doch es sind nicht nur diese ikonischen Momente, welche die Einführung von Indy so gelungen machen. Bis auf eine ganz kleine Ausnahme gelingt hier nämlich die perfekte Etablierung eines Abenteuerhelden, den man mit Hilfe eines tollen Spannungsbogens und der Etablierung entscheidender Charakteristika sehr elegant Stück für Stück dem Zuschauer näherbringt.
Bei genauerem Hinschauen kann man die Sequenz dabei sehr schön in drei Teile unterteilen. Im ersten Abschnitt wird ein beliebter Kniff dazu verwendet um die Hauptfigur zu überhöhen und uns auf diese neugierig zu machen – wir sehen sie nämlich nicht. Zumindest nicht ihr Gesicht, denn in den ersten drei Minuten müssen wir uns erst einmal mit Indys Händen, Füßen und Rücken zufrieden geben. Diese Art der verzögerten Einführung (wie wir es in kleinerem Rahmen z.B. auch in „Casablanca“ gesehen haben) wird hier meisterhaft auf die Spitze getrieben. Die Botschaft dieses Stilmittels ist klar: hier haben wir es mit einer ganz besonderen Person zu tun. Was aber nicht bedeutet, dass wir hier sonst nichts über die Figur erfahren.
Zum einen wäre da natürlich das markante Outfit (Hut, Peitsche, Lederjacke) von Indy, das hier jetzt auch den Vorteil hat, dass die Figur noch deutlicher aus dem Umfeld heraussticht. Wichtiger ist aber, dass zu Beginn auch gleich zwei ganz entscheidende Eigenschaften der Figur herausgearbeitet werden: Coolness und Autorität. So wird deutlich gemacht, dass Indy hier selbstbewusst den Ton angibt. Er läuft entschlossenen Schrittes und schon eine kleine Geste reicht, damit ihm sein Begleiter ehrfürchtig eine Landkarte in die Hand drückt. Dieser Mann braucht also nicht viel Worte, um Autorität auszustrahlen.
Gleichzeitig lässt sich Indy so leicht auch keine Angst einjagen. Die gruselige Dschungelstatue läßt sein zwar Team erschaudern, sorgt bei ihm aber nicht einmal für ein Zucken. Und die im Baum steckenden Giftpfeile halten ihn genauso wenig davon ab, konsequent seinen Weg weiterzugehen. Coolness und Furchtlosigkeit, klassische Heldeneigenschaften, die hier aber deutlich subtiler vermittelt werden als in vielen anderen Filmen. All das endet dann im ersten Höhepunkt: dem versuchten Mordanschlag auf Indy. Der wird nicht nur ganz cool von ihm verhindert, sondern dann auch noch perfekt dazu genutzt, uns endlich zum ersten Mal das Gesicht unseres Helden zu zeigen.
Das ist schon sehr clever, wie hier an der Spannungsschraube gedreht wird und dadurch die Figur schon so stark emotional aufgeladen wird, bevor diese überhaupt das erste Mal dem Zuschauer ins Gesicht blickt. Womit dann auch der zweite Teil dieser Sequenz eingeläutet wird. Auf den ersten Blick scheint dieser dabei nur eine konsequente Weiterführung der Etablierung unserer Hauptfigur als coole Sau zu sein. Wie so oft ist dabei die Wichtigkeit der Begleitung nicht zu unterschätzen, in deren „weinerlichem“ Licht Indy’s Coolness erst so richtig deutlich zum Wirken kommt. So läßt sich Indy, im Gegensatz zu seinem Begleiter, vom schrecklichen Tod des Konkurrenten Forrester nicht beeindrucken, riesige Spinnen sorgen bei ihm nur kurz für Irritierung und er umschifft auch sonst, fast allwissend, alle Fallen, bis er schließlich vor seinem Ziel steht: dem Altar mit der Götzenfigur.
Aber in diesem zweiten Abschnitt gibt es dann doch noch mehr zu entdecken. So rettet Indy mal eben seinen beinahe in den sicheren Tod stürzenden Begleiter – und das obwohl diese Jungs sich bisher ja jetzt nicht wirklich von ihrer besten Seite gezeigt haben. Ein ganz entscheidender Hinweis auf die Moralvorstellungen der Hauptfigur und ein sehr wichtiger kurzer Einschub, um dem Zuschauer zu vermitteln: Leute, Indy ist ein guter Junge. Und dann ist da noch die Sache mit der Leidenschaft. Im ersten Teil der Sequenz wurde Indiana Jones als abgezockter Typ präsentiert – ohne relativ viel Emotionen. Das ändert sich spürbar in dem Augenblick, als Jones das Götzenbild entdeckt (der zweite große Höhepunkt der Sequenz). Vorbei ist es mit der inneren Ruhe, stattdessen hat man fast das Gefühl in die Augen eines aufgeregten Kindes zu blicken, das hier eben nicht einfach nur „Business as Usual“ erledigt. So wird die Figur im zweiten Abschnitt spürbar „menschlicher“ gezeichnet. Bevor dann im dritten Teil das komplette Chaos ausbricht.
Was folgt ist das große spannungsgeladene Finale der Eröffnungssequenz und nun wird eine der wohl wichtigsten Eigenschaften der Figur etabliert, die später im Film in einem schönen Satz von Jones selbst sehr gut zusammengefasst wird. Angesprochen darauf, was sein Plan ist, antwortet er da nur lapidar: „I don’t know, I’m making this up as I go.“ Das ist dann auch im wesentlichen die zentrale Botschaft der Fluchtsequenz in der Höhle. Das er dabei schon wieder von einem Begleiter hintergangen wird verstärkt noch einmal den Sympathiebonus für unsere Hauptfigur. Es ist dabei auch interessant mal darauf zu achten, dass Jones in beiden Fällen, wenn man das so sagen kann, auf ziemliche hinterhältige Art und Weise hintergangen wird. Einmal will man ihm in den Rücken schießen, dass andere Mal wird ein Versprochen gebrochen. Was uns wieder zu der alten Weisheit bringt: Je mieser der Bösewicht desto strahlender der Held.
Bösewicht ist dann auch ein gutes Stichwort. Der wird hier in Form des Archäologen Belloq dann auch noch schnell etabliert. Und damit wir das auch gleich merken, gibt Belloq höchstpersönlich seine eigene Skrupellosigkeit zu und tritt unserem tapferen Helden mit einer kompletten Armee entgegen – anstatt in einem fairen Duell. Der Underdog-Effekt in dieser Situation verstärkt dann nur noch die Sympathie des Zuschauers mit Jones. Der dann wiedereinmal eines der wichtigsten Talente für Helden an den Tag legt, nämlich sich irgendwie auch aus der scheinbar aussichtslosesten Situation befreien zu können. Und am Ende dieser grandiosen Sequenz weiß man gar nicht, wer denn jetzt mehr erschöpft ist: Indy oder der Zuschauer.
Nun, einen kleinen Haken gibt es dann doch noch. Um die Einführung von Indy in dieser Sequenz noch wirklich rund werden zu lassen, wird am Ende auch noch, ganz klassisch, das scheinbar letzte fehlende Puzzleteil eingefügt: die Schwäche des Helden – Indys Kryptonit. Doch irgendwie wirkt die Szene mit der Schlange im Cockpit ein wenig angetackert, reißt den Zuschauer aus dem Rhythmus und wirkt einfach etwas zu bemüht. Manchmal ist eben weniger mehr, auch wenn das hier nur ein wirklich kleiner Wermutstropfen ist.
Am Ende bleibt aber ein unglaublich einfallsreiche und vor allem mit einem nahezu perfekten Spannungsbogen ausgestattete Charaktereinführung, die unseren Protagonisten von mehreren Seiten beleuchtet und gleichzeitig auch noch perfektes Entertainment abliefert. Chapeau Dr. Jones.