Wir beginnen den Blog mit einem Klassiker und dem wohl berühmtesten Café-Besitzer der Filmgeschichte. Eingeführt wird Rick als verdammt cooler Typ – vor 90min Liebeskummer schützt ihn das trotzdem nicht.
Casablanca (1942) – Die Story
Drehbuch: Julius J. Epstein, Philip G. Epstein, Howard Koch
Während des zweiten Weltkrieges versuchen viele Menschen sich aus Angst vor den Deutschen via Französisch-Marokko aus Europa abzusetzen – und stranden fast unweigerlich im Café des Amerikaners Rick Blaine in Casablanca. Der hat sich bisher eigentlich ganz elegant aus all den damit verbundenen Problemen heraushalten können. Als dann aber der von den Deutschen fieberhaft gesuchte Widerstandskämpfer Victor László mit seiner Frau Ilsa (einer alten Flamme von Rick) auftaucht, beginnen die Dinge aus dem Ruder zu laufen.
Die Einführung von Rick Blaine
In den ersten Minuten bekommen wir erst einmal ein paar Informationen zur politischen Situation in Casablanca vermittelt, dann erst verlagert sich die Handlung in Rick’s Café. Hier treffen wir ein paar der verzweifelten Gestalten, die in der Stadt gestrandet sind und von der Flucht nach Amerika träumen. In einem Nebenraum des Cafés, in dem Glücksspiel betrieben wird, sitzt Rick alleine an einem Tisch, spielt mit sich selbst Schach und gibt dem Bediensteten an der Türe durch Blicke zu verstehen, wer diesen exklusiven Raum betreten darf und wer nicht. Als Rick einem deutschen Bankier den Zutritt verbietet, dieser aber daraufhin Ärger macht, geht Rick persönlich zur Tür, zerreißt das Geld des Mannes und schickt diesen weg.
Derweil hat der Kleinganove Ugarte den Raum betreten und erzählt Rick, dass er im Besitz von zwei wertvollen Passierscheinen ist, durch deren Verkauf ihm endlich die Flucht aus Casablanca gelingen wird. Ugarte bittet Rick für ein paar Stunden auf diese Scheine aufzupassen, woraufhin Rick Ugarte damit konfrontiert, dass diese Passierscheine wohl aus dem Besitz zweier ermordeter deutscher Kuriere stammen – ein Mordfall, der gerade die ganze Stadt in Aufregung versetzt. Verschmitzt gibt Ugarte seine Beteiligung an dem Vorfall indirekt zu. Rick gibt Ugarte zu verstehen, dass er das nicht gutheißt und verläßt den Raum.
Analyse: Kein Gegner in Sicht
„Casablanca“ ist nicht einfach nur ein toller Film, sondern auch ein wundervolles Beispiel für eine wirkliche gelungene Charaktereinführung. Natürlich, es ist ein Alpha-Mann der alten Schule, den wir hier präsentiert bekommen. Trotzdem macht es verdammt Spaß sich genauer anzuschauen, auf welche clevere Art und Weise diese inzwischen so legendäre Figur hier etabliert wird. Dabei bedienen sich die Drehbuchautoren eines kleinen Kniffs: Rick wird nämlich schon vor seinem ersten Auftritt sozusagen „angeteasert“ und charakterisiert – und gewinnt so schon an Profil ohne überhaupt in Aktion treten zu müssen.
Es ist der französische Captain Renault, der gegenüber dem deutschen Major Strasser zu Beginn das erste Mal erwähnt, dass Rick’s Café der große Treffpunkt der Stadt ist. Strasser hat von diesem Rick schon gehört – offensichtlich eilt dessen Ruf ihm voraus. So bekannt aber Rick auch sein mag, leicht zu treffen ist er nicht. Geschickt baut das Drehbuch eine Aura des Exklusiven rund um Rick auf. In Rick’s Café angekommen müssen wir erst eine bewachte Nebentür passieren um zu ihm zu gelangen.
Dort angekommen hält man den Zuschauer aber weiter hin. Eine Dame an einem Spieltisch fragt nun den Ober nach einer Möglichkeit mit Rick einen Drink einzunehmen – aber der wiegelt direkt ab: Rick würde nie mit Gästen trinken. Und auch der Versuch eines Gastes, seine Stellung als wichtiger Bankier auszuspielen nutzt hier nicht – auch da lehnt der Ober die Anfrage höflich ab. So leicht ist Rick eben nicht zu haben – und käuflich ist er schon gar nicht.
Das ist natürlich ein wundervoller Weg um im Zuschauer schon ein Bild einer Figur aufzubauen, welche dieser bis dato noch gar nicht zu Gesicht bekommen hat. Genau mit dieser Spannung spielt der Film dann weiter. Denn von Rick bekommen wir als nächstes erst einmal nur dessen Hand zu sehen – und wie diese einen teuren Scheck unterschreibt. Erst danach fährt die Kamera zurück und erlaubt uns endlich den ersten Blick auf unseren sagenumwobenen Cafébesitzer, der mit Zigarette im Mund alleine an einem Tisch sitzt und gegen sich selbst Schach spielt.
Ein Partie Schach mit sich selbst – das ist schon fast ein bisschen zu klischeehaft aber eben doch ein ziemlich probates Mittel um klar zu kommunizieren: dieser Mann hat hier wohl keinen anderen ebenbürtigen Gegner. Rick sitzt dazu auch noch leicht erhöht und hat den ganzen Raum gut im Blick – in Kombination mit dem bewachten Eingang kann man hier durchaus den Vergleich zu einer Art Thronsaal ziehen. Keine Frage, das ist das Reich von Rick und er ist hier der Chef. Das wird dann noch dadurch auf die Spitze getrieben, dass Rick alleine durch Blicke den Einlass am Eingang regelt. Daumen hoch, Daumen runter – Rick Blaine entscheidet über dein Wohl.
Nun gesellen sich aber noch weitere wichtige Charakterzüge dazu. Zum Ersten wird deutlich gemacht, dass Rick ein Mann der Tat ist und ein Problemlöser. Den aufmüpfigen deutschen Bankier nimmt er sich persönlich zur Brust – dessen Drohungen wiederum lassen ihn kalt. So passen dann auch Ricks allererste Worte so perfekt zu seiner Figur: „Yes – What’s the trouble?“. Ja, dieser Rick ist ein Mann mit Prinzipien und ohne Angst, seinen Alpha-Status macht ihm so schnell keiner streitig. Das flackert auch noch einmal später auf, als Rick sich Ugarte zur Brust nimmt und diesen mit dem Mord an den deutschen Kurieren konfrontiert.
Ugarte ist dann auch ein wundervolles Stichwort, denn diese Figur wird im Wesentlichen zu Beginn dafür genutzt, die „Legende“ Rick noch weiter zu verstärken. Während Rick Ugarte am Anfang deren Gesprächs fast keines Blickes würdigt, und dabei relativ kurz angebunden ist, versucht Ugarte auf Teufel kommt raus dessen Anerkennung zu gewinnen: „Rick – I hope you are more impressed with me now“.
Der Dialogpartner agiert aus einem tieferen Status heraus – so kann man die Hauptfigur natürlich ganz einfach weiter Profil gewinnen lassen. Es sind dann auch manchmal ganz kleine Nebensätze, in denen Rick von Ugarte immer wieder auf ein Podest gestellt wird. Als Ugarte Rick zum Beispiel die Passierscheine zeigt und erwähnt, dass selbst (der große) Rick wohl solche noch nie gesehen hätte.
Es wäre jetzt aber zu einfach, die Einführung von Rick lediglich als simple Präsentation des Alphatierstatus abzukanzeln. Damit der Zuschauer nämlich Sympathie für Rick aufbauen kann braucht es mehr als das Demonstrieren von Macht und Stärke. Entscheidend ist hier der moralische Unterbau und hier wird das Gespräch von Rick mit Ugarte auch geschickt dafür genutzt, um Rick als integren Charakter darzustellen, der Ugartes zwielichtige Machenschaften deutlich verurteilt.
Ganz subtil wird die Sympathie für Rick übrigens auch mit Hilfe einer scheinbar unbedeutenden Nebenfigur verstärkt. Als die Spielrunde zu Beginn nach einem Drink mit Rick fragt kommt die Absage des Obers mit viel Humor daher – und wirkt so nicht etwa herablassend und arrogant, was sich dann nämlich auch auf die Hauptfigur übertragen hätte. Mit anderen Worten: Wer so einen Ober einstellt kann kein Arschloch sein. Man muss also immer genau darauf achten, mit was für einem Umfeld man seine Hauptfigur umgibt und welche Auswirkungen dies hat.
Und noch etwas geht fast unter. Gleich zu Beginn des Gespräches zwischen Rick und Ugarte bekommen wir tatsächlich noch ein klein bisschen Backstory serviert. Oder besser gesagt: die Andeutung einer Hintergrundgeschichte. Ugarte deutet hier nämlich an, dass sich Rick wohl nicht immer in einem solchen illustren Umfeld bewegt hat wie jetzt. Es ist nur ein kleine Andeutung, aber ein schöner kleine Kontrapunkt zu dem sonst so unglaublich souveränen Auftritt von Rick. Ein kleiner Hauch Verletzbarkeit weht hier durch den Raum – und macht unseren Protagonisten noch ein klein bisschen menschlicher.
Rick ist also nicht einfach nur eine coole Sau, er hat auch noch das Herz am richtigen Fleck. Eine gelungene Einführung, nach der wir als Zuschauer nun mit Empathie zu der Hauptfigur aufschauen. Und die nächsten 90 Minuten dann genießen dürfen, wie eine Frau dieses scheinbar perfekte Konstrukt eines Mannes komplett ins Wanken bringt.
Sehr schöne Einführung und Vorstellung der Hauptfigur — allerdings widerspreche ich in einem Punkt: Ricks Entgegnung auf Ugartes „The poor devils…“ (in Bezug auf die Kuriere) ist nämlich „You’re right, Ugarte: I’m a little more impressed with you“. Ich spüre hier nicht, dass Rick den Mord nicht gutheißt.
Guter Einwand. Er ist definitiv nicht traurig was den Tod der Deutschen angeht und ein gewisser Respekt dafür zeigt sich in seiner Aussage – soviel Mumm hätte er diesem „cut-rate parasite“ nicht zugetraut. Die Art wie er dieses Kompliment aber ausspricht hat sowohl etwas bewunderndes als auch weiterhin etwas abschätzendes. Er findet Ugarte weiter zwielichtig und das auf die „billige“ Art – wenn schon, dann bitte mit etwas mehr Ehre. Somit bleibt die grundsätzliche Aussage des Intros, Bogarts Figur als „aufrechten Mann“ einzuführen weiter bestehen. Aber, wie gesagt, es ist korrekt, dass er den beiden Deutschen keine Träne nachtrauert…