Serie

Jessica Fletcher – Mord ist ihr Hobby

Wieso die Rente im Altersheim verprassen, wenn man böse Buben jagen kann. Nimmt ihren Nebenberuf als Krimiautorin vielleicht ein bisschen zu ernst: Jessica Fletcher.

Mord ist ihr Hobby (1984 – 1996) – Die Story

Drehbuch Episode 1: Richard Levinson, William Link, Peter S. Fischer
Die ehemalige Englischlehrerin Jessica Fletcher (Angela Lansbury) verbringt ihren Lebensabend im beschaulichen Maine mit dem Verfassen von Kriminalromanen. Inspiration dafür findet sie genug, schließlich scheint unsere rüstige Dame das Verbrechen förmlich magisch anzuziehen. Mit ihrer hervorragende Kombinationsgabe entlarvt sie gekonnt einen Mörder nach dem anderen. Und am Ende ist es dann nur die Polizei, die alt aussieht.

 

Die Einführung von Jessica Fletcher

Zu Beginn der ersten Folge beobachten wir eine junge Dame, die in einem genauso alten wie dunklen Haus nachts merkwürdigen Geräuschen nachgeht. Als sie eine Tür öffnet wartet dort ein bedrohlich aussehender Mann mit Maske und Streitaxt. Glück gehabt – alles nur eine Theaterprobe. Die nun von Mr. Cellini, dem Regisseur, abgebrochen wird. Der regt sich nicht nur über das Timing der Schauspieler auf, sondern auch über die drei rüstigen Damen, die sich heimlich in das leere Theater geschlichen haben. Eine davon: Jessica Fletcher.

Der Vorwurf Cellinis, was die drei Damen denn hier machen würden, wird nun von Jessica direkt gekontert. Mr. Cellini habe sie schließlich vor einiger Zeit eingeladen. Und Jessicas Nachbarinnen klären auf, dass sie von der PTA (Parent, Teacher and Friends Association) kommen würden und ja für die Verköstigung bei der Premiere verantwortlich wären. Mr. Cellini drückt dies nicht ganz so nett aus und bezeichnet die drei Damen abfällig als „Cookie-Ladies“.

Übrigens, der Onkel war der Mörder. Jessica löst den Fall im vorübergehen. (Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Genau diese drei „Cookie-Ladies“ loben aber nun Cellini für das Stück. Nur Jessica kann sich eine Anmerkung nicht verkneifen. Bestimmt errät ja niemand, dass der Onkel der Mörder ist. Eine Aussage, die unseren Regisseur zutiefst verunsichert. Schließlich haben die Damen ja nur einen Auszug aus dem Stück gesehen. Cellini holt die das Theater verlassende Jessica ein und stellt sie zur Rede. Die erklärt dem jungen Mann bereitwillig und im Detail, welche Hinweise sie zu dieser korrekten Schlussfolgerung geführt haben. Wofür sie sich dann artig entschuldigt. Sie will unserem ehrgeizigen Regisseur ja nicht sein eigenes Stück erklären. Während die Damen dann tuschelnd von dannen ziehen, zitiert der angesäuerte Regisseur erst mal seinen „idiotischen Autoren“ zu sich, um diesen zur Sau zu machen.

Die Analyse:

Es ist schon ein nettes kleines Konstrukt, was man sich hier für die Einführung von Jessica Fletcher ausgedacht hat. In dem sie einen fiktiven Mord aufklärt bekommen wir sozusagen eine Art „Probearbeitstag“ unserer angehenden Detektivin serviert. Anhand dessen wir ebenfalls einen ersten Einblick in den Charakter unserer Hauptfigur erhalten. Der geht zwar nicht richtig in die Tiefe, präsentiert uns aber zumindest schon einmal einen ersten Eindruck von der Kombinationsgabe und Dynamik eine Figur, die uns als eine Art sanfter Sherlock Holmes präsentiert wird.

Unseren erster Eindruck von Jessica bekommen wir aus der Sicht des energiegeladenen Theaterregisseurs. Jessica und ihre Freunde wirken auf den ersten Blick wie ein paar harmlose alte Damen, die sich verirrt haben. Und werden dann von unserem guten Herrn Meisterregisseur auch prompt etwas despektierlich als „Cookie-Ladies“ abgekanzelt. Ein Bild, was in den nächsten Minuten dann eindeutig widerlegt wird. Zumindest was Jessica angeht. Als der Regisseur im Eifer des Gefechts den Damen gegenüber nämlich etwas Anstand vermissen läßt, ist es sie, die direkt eingreift. Den Vorwurf von Cellini was sie denn hier tun würden läßt sie nämlich nicht auf sich sitzen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie ist diejenige der Gruppe, die aufsteht und Cellini zurechtweist.

Da ist jemand standhaft. Jessica erinnert den Regisseur an seine eigenen Worte. (Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Die Kraft der zwei Herzen
Dabei ist Jessicas entschlossener Auftritt in doppelter Hinsicht effektiver Charakteraufbau. Einmal behauptet sich Jessica erfolgreich gegen Cellini. Sie dreht den Spieß um, wird zur dominierenden Kraft und gewinnt das Statusduell. Gleichzeitig zeigt sie, dass sie auch innerhalb ihrer kleinen Damengruppe die führende Kraft ist. Diese Dominanz wird in den folgenden Minuten weiter ausgebaut. Man nehme nur die Beiläufigkeit, mit der Jessica den Mörder des Stückes erwähnt und einen überrumpelten Regisseur sozusagen im Regen stehen läßt. Der nun ihr hinterherläuft um Antworten zu bekommen. Der Sieger dieses Statusduells ist eindeutig.

Die ganze Einführung von Jessica ist ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man eine klare Hauptfigur etabliert, in dem man sie zur eindeutig treibenden Kraft des Geschehens macht. So ist Jessica auch diejenige, die dem Regisseur ihre beiden Freundinnen vorstellt. Sie tritt dann auch aus der Gruppe heraus, um Herrn Cellini ihre Schlussfolgerungen vorzutragen. Und sie erklärt mit einem „Come on girls“ die Unterhaltung schließlich für beendet – und ihre zwei Freundinnen dackeln brav hinterher. Das nennt man klare Ansagen. Und so wird deutlich, dass die Zuschauer ihren ersten Eindruck, genau wie der Theaterregisseur, revidieren müssen. Nein, das ist nicht einfach nur eine nett-naive alte Dame. Sondern eine selbstbewusste Frau, die sagt wo es langgeht.

Mit dieser Frau ist nicht zu spaßen. Jessica erklärt Mr. Cellini sein eigenes Stück. (Foto: ©Universal Pictures Germany GmbH)

Sherlock Holmes als Softie
Eine Frau, die offensichtlich auch einiges auf dem intellektuellen Kasten hat. Ihre Kombinationsgabe, gepaart mit den schnell vorgetragenen Schlussfolgerungen, erinnert dabei ein wenig an Sherlock Holmes. Das die Episode „The Murder of Sherlock Holmes“ heißt, zeigt dann auch, dass sich die Serie dieser Parallelen durchaus bewusst ist. Aber Jessica ist nicht einfach eine weibliche Kopie des Meisterdetektivs. In der Einführung wird schnell deutlich, dass wir es hier mit einer nicht ganz so aggressiv-arroganten Version einer Hobbydetektivin zu tun haben. Gegenüber Cellini räumt sie so kurz ein, dass es ja auch sein könnte, dass sie falsch liegt. Das wäre Holmes garantiert nicht passiert. Und überhaupt ist Jessicas Verhalten gegenüber Cellini im ganzen Verlauf nicht feindselig – sie verpackt ihre Meinung immer in eine schöne weiche Wolke aus Nettigkeit. Sie wolle dem Regisseur ja schließlich nicht sein eigenes Stück erklären.

So baut die Einführung eine Hauptfigur auf, bei der Entschlossenheit und Holmsche Kombinationsgabe Hand in Hand mit dem Charme einer netten alten Dame gehen. Was so manchen Verbrecher und Polizisten noch in den Wahnsinn treiben wird – ähnliche wie wir es zum Beispiel bei einem gewissen Inspektor Columbo erlebt haben. Unser Herr Chellini steht dann hier auch stellvertretend für die Polizei, die es ja eigentlich besser wissen müsste, von Jessica aber in den Schatten gestellt wird. So präsentiert uns die Einführung von Jessica Fletcher in kurzer Zeit eben nicht nur die wichtigsten Merkmale der Hauptfigur. Sondern wartet auch noch mit einem Aufbau auf, der uns bereits jetzt schon einiges darüber verrät, was Zuschauer bei den kommenden „realen“ Mordfällen erwarten wird. Und das ist ja dann eigentlich doch eine ganz elegante Vorgehensweise.

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